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Schach - Allerlei VII

Sams "Endspiel"

von Gerd Borris

Von 1954-1956 arbeitete der irische Schriftsteller Samuel Beckett an der ersten Fassung seines Stückes "Endspiel". Er schrieb es in französisch und nannte es "Fin de partie". Bei der Übersetzung ins Englische lehnte er "End of Game" ab. Er bestand auf: "Endgame" - wie im Schach.
Vergnügt las ich in Deirdre Bairs Achthundert-Seiten-Beckett-Biographie, daß er sehr gern Schach spielte.
Übrigens war er, wenn er mit jemandem konnte, nicht Herr Beckett und auch nicht Samuel, sondern einfach Sam. Konnte er mit Leuten nicht, wurde es/er schwierig...
Nachdem er 1935 seinen Wohnsitz endgültig nach Paris verlegt hatte, lernte er Marcel Duchamp gut kennen, den Dadaisten, Surrealisten und Schachexperten:
"...das Schachspiel ist nicht sonderlich lustig."
M. Duchamp - der gelegentlich eine Schachkolumne für die Pariser Tageszeitung Ce Soir schrieb und an internationalen Turnieren teilnahm - veröffentlichte 1932, gemeinsam mit einem Herrn Halberstadt (das mittelalterliche Schachdorf Ströbeck liegt zufälligerweise im Landkreis Halberstadt), ein dreisprachiges schachtheoretisches Werk mit der poetischen Überschrift:
"Opposition und die Schwesterfelder sind versöhnt". (L'Opposition et les cases conjugées sont reconciliées.)
Die Autoren analysierten reine Bauernendspiele. Beide Könige, als letzte bewegliche Figuren, wollen dickköpfig die Partie im Alleingang noch gewinnen. Motive wie: Nah- und Fernopposition, Zugumstellung, Zugzwang, Patt, Eroberung von Einbruchsfeldern usw. müssen genau beachtet werden.
S. Beckett kannte das Buch seines regelmäßigen Schachpartners, und er hat sich von ihm gewiß manches auf dem Brett zeigen und erklären lassen.
Das Bild der kriegerischen Könige auf der Bühne des Schachbrettes, die jeden Schritt des anderen belauern, war eine von S. Becketts Inspirationen, als er die Idee zum "Endspiel" entwickelte.
Endspiel ist trotzdem kein Schach-Theaterstück. Zwar sagte der Autor zur Rolle des einen der beiden Hauptdarsteller:
"Hamm ist der König in dieser von Anfang an verlorenen Schachpartie. Er weiß von Anfang an, daß er lauter sinnlose Züge macht. Nun macht er zuletzt noch ein paar sinnlose Züge, wie sie nur ein schlechter Spieler macht, ein guter hätte längst aufgegeben."
Aber bei Clov, der zweiten Hauptrolle, wird die Analogie zum Schach schon verzerrt. Er ist kein Gegenkönig. Mit dem Springer wurde er verglichen. Immer auf dem Sprung droht er damit, den gelähmten Hamm zu verlassen. Obwohl es, wie der moderne Autor S. Beckett signalisiert, draußen gar kein verlockendes Anderswo gibt, wohin Clov sich abseilen könnte.
Außerdem stellen beide auch das klassische Herr-und-Diener-Gespann dar. Der Name Hamm bedeutet verkürzt: Hammer! Und Clov verdankt dem französischen: clou - Nagel! seinen Namen.
"Ihr Krieg ist der Kern des Stückes."
Am Ende des Spiels steht Clov in grotesker Reiseausstattung da. Hamm legt sich ein schmuddliges Taschentuch ("...altes Linnen!") auf Stirn und Gesicht, das auch anfangs sein Gesicht verbarg.
S. Beckett versteckte im Endspiel tausenderlei Zitate, Reminiszenzen, Hinweise und dergleichen mehr. Allein Hamms "altes Linnen" gibt mehr als nur einen Wink.
Es kann die Assoziation zum mysteriösen Turiner Grabtuch wecken, in dessen Gewebe ein Abdruck vom Antlitz und Körper des Gekreuzigten sichtbar sein soll. Und an das Tuch, mit dem geselligen Graupapageien und farbenprächtigen Araras gute Nacht gesagt wird.
Der Kreuzworträtselberg Ararat hat hiermit nichts zu schaffen. Das Gläschen Arrak ebensowenig. Obwohl ja ein flinker Kellner, die wehende Serviette unter dem Arm, herbeieilen könnte mit dem Arrak - und der Ararat von einem Tuch frischen Schnees bedeckt sein.
Abgesehen vom Schach und einer kleinen Kulturgeschichte des Leinens birgt das literarische Überraschungsei auch noch: die Hirsekörner des Sophisten Zenon, die Antinomien der Eleaten, die Arithmetik des Pythagoras, Eubulides von Milet (das alles klingt wunderschön - leider verstehe ich herzlich wenig von den damit verknüpften philosophischen Weltbildern und Wissenschaften) sowie verkappte Textstellen der Bibel, Shakespeares und Baudelaires.
Hinzukommen, jüngeren Datums, die entfesselten Slapstick-Komödianten des Stummfilms wie Buster Keaton, Charlie Chaplin und die vier Marx Brothers. In ihrer besten Zeit improvisierten sie anarchisch. Sie schüttelten zahllose Gags und Pointen aus dem Ärmel. Ihr Publikum bog sich und lachte Tränen.
Im Endspiel sind diese burlesken Komiker homöopathisch verdünnt gegenwärtig. Denn der scheue Sam hatte mit brüllendem Gelächter aber auch gar nichts am Hut.
Als Regisseur seines Stückes erlaubte er den Schauspielern, die nicht gern auf einen Lacher verzichten, soviel Komik wie möglich ins Spiel zu bringen. Für "soviel wie möglich" galt bei ihm allerdings ein strenger Maßstab.
Nebenbei: der große Meister James Joyce, S. Becketts Landsmann, Freund und Vorbild, jonglierte mit verschlüsselten Einsprenkeln jeder Art von Bildung und Unbill, bis zur Unlesbarkeit seines Opus. Oder kennt jemand jemanden, der "Finnegans Wake" wirklich gelesen hat?
His Master's joy-ce (voice)!
"Man stellt einen kleine Welt her mit eigenen Gesetzen, regelt das Spiel wie auf einem Schachbrett", sagte S. Beckett zur Theaterarbeit.
Man regelt... Das hätte bei den Marx Brothers begeisterte Zustimmung ausgelöst und sie angeregt, sofort alles noch und nöcher zu regeln. Bis von der Bühnendekoration, den Kostümen, den Requisiten und den Nerven gejagter Blondinen, des Inspizienten, des Regisseurs und des sparsamen Finanziers der Show nichts Regelbares mehr übriggeblieben wäre.
Zur Atmosphäre seines Stückes zeichnete der Autor folgendes kokelige Bild: "Endspiel sei wie eine ausgebrannte Feuerstelle, aus der von Zeit zu Zeit Flammen hervorbrechen, um wieder zurückzusinken in die Asche."
Hier dürfen wir Schachpraktiker uns angesprochen fühlen. Mit einem reichlichen Vorrat Holz, das hell brannte (will sagen: mit frischem Elan), gingen wir in eine wichtige Turnierpartie. Und wir kamen, viel zu schnell und viel zu leicht, in eine sehr vielversprechende Angriffsstellung.
Vom Höhenflug der Freudenfunken holte ein ganz unnötiger dummer Patzer uns abrupt zurück. Das bedeutete Ärger und Qualm. Reflexartig meldete sich der Gedanke: "Vielleicht sieht's der Gegner nicht..."
Er sah's.
Stunden verstrichen. Holz verbrannte zu Asche. Wir gerieten in ein mundtrockenes Bauernendspiel. Das erforderte Spannkraft und Geduld - und manchen Schluck Limo. Es war uns außerdem äußerst unsympathisch. Wir ahnten nämlich schon, daß wir uns peinlichen Endspielschwächen näherten.
Die letzte halbe Stunde der fünfstündigen Strecke begann. Panik packte uns ohne ersichtlichen Grund. Wir rissen uns zusammen.
Ein hektisches Flämmchen brach hervor: Hatte der Gegner etwa etwas übersehen? Jetzt verlor er doch einen Bauern... Zögerlich nahmen wir den. Der Gegner saß so verdammt von sich selbst überzeugt da! Nach zwei, drei weiteren Zügen sank unser Hoffnungsflämmchen kraftlos in sich zusammen.
Wir verstanden leider zu spät, daß der Gegner mit viel Übersicht (in einer theoretischen Remisstellung) vom Material auf die Tempi umgestiegen war. Er hatte den hinderlichen Mops absichtlich geopfert, damit das freie Feld seinem tatendurstigen König zugänglich würde. Anschließend tempierte er uns aus. Er brach in unsere Stellung ein und fraß sämtliche Bauern des Damenflügels.
Wir gaben auf. Wir bewahrten unseren König vor der lächerlichen Situation, sich mit einem übermächtigen Trio starker Frauen herumprügeln zu müssen.
Blieb nur, daß wir uns wie Phönix (jener Vogel "Phoinix" der antiken Mythologie, von dem, siehe Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Hesiod und Herodot berichteten) aus der Asche erneuerten und erhoben - nach unserem verlorenen Endspiel.

Copyright © 1999 Gerd Borris

 

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