Weltpolitik und Wissenschaft
Weltpolitik und Wissenschaft  
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Das deutsche Kaiserreich betreibt Weltpolitik. Von Togo bis Samoa. Weltpolitik hat einige exotische Plätze, die unabhängig sind. Japan ist einer dieser Orte, auch Siam (Thailand). Äthiopien soll einer dieser Orte werden. Der erste dauerhafte deutsche Gesandte in Äthiopien, Georg Coates (1853-1924) hat seine diplomatischen Erfahrungen in Japan, Hongkong und Siam gewonnen. In anderen Regionen ist Weltpolitik gleich Kolonialpolitik. 1904-07 ist Deutschland mit Herero-Nama Erhebungen in Namibia konfrontiert. 1905-06 erfolgt der Maji-Maji Aufstand in Tanganyika. Aufstände haben Truppenbewegungen zur Folge. Nachschubwege nach Afrika müssm gesichert werden.

Eine gewaltlose Form imperialer Politik vollzieht sich gegenüber dem Osmanischen Reich. Friedliche wirtschaftliche Durchdringung wird durch offensive Kulturpolitik flankiert. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhunderts betreibt das Deutsche Reich – mit spezieller Unterstützung Wilhelms II. – gezielt archäologische Grabungen in Kleinasien und später in Mesopotamien. Archäologie wird professionalisiert. Die Deutsche Bank finanziert den Bau der Bagdad-Bahn (1897-1903). Die Trasse verläuft entlang einer archäologisch und ethnographisch flankierten Strecke. Das Auswärtige Amt verfügt nur über wenige regionale Spezialisten. Friedrich Rosen ist der erste ausgebildete Orientalist, der über den konsularischen Dienst hinauskommt. Er dient als deutscher Konsul in Jerusalem, als ihn Ende des Jahres 1900 der Ruf in die Politische Abteilung des Auswärtigen Amtes erreicht.

Der sehr zivile Diplomat Rosen ist wenig erfreut über Absichten der deutschen Marine auf einer Insel im Roten Meer einen isolierten Stützpunkt – Kohlenbunker – einzurichten. Gegenüber dem osmanischen Reich sollen aggressive Landnahmen unterbleiben. Rosen will aber auch vermeiden, dass das Rote Meer für die deutsche Marine zu einer “Mausefalle“ wird, die durch Großbritannien (Aden) und Frankreich (Dschibuti) im Konfliktfalle geschlossen werden könnte. Rosen setzt auf einen Ausgleich der Mächte. Während seiner Äthiopien-Mission, auf der Hinreise über Dschibuti und DireDawa (unter französischem Einfluss), in Addis Abeba und auf der Rückreise in Kairo (unter britischem Einfluss), setzt er Kooperation in Szene. Rosen will für Deutschland einen kooperativ bestimmten Anteil am zukünftigen Potential der wirtschaftlichen Durchdringung Äthiopiens erhalten. Diese Zusagen gelingen ihm. Sie münden im deutsch-äthiopischen Handelsvertrag vom 7. März 1905.

Auf der Rückreise erreicht Rosen am 1. Mai 1905 in Aksum eine Nachricht, die seine vorsichtige Politik an anderer Stelle aufhebt. Wilhelm II. hat im marokkanischen Tanger eine zuspitzende Rede gehalten, in der er Marokko als Einflusszone für alle kolonialen Mächte forderte. Friedrich Rosen ist bereits zum neuen deutschen Gesandten für Tanger ernannt worden. Rosen wird sich mit äthiopischen Angelegenheiten nicht mehr gezielt beschäftigen.

Eine Ausnahme gibt es. Hier behält Rosen die Fäden in der Hand, bis die Sache reif ist. Hier ist er nicht kooperativ sondern geheimtuerisch. Wie im Osmanischen Reich soll Weltpolitik mit Wissenschaft zusammengehen. Menelik II. hat Wilhelm II. ein Recht zu archäologischen Grabungen in Aksum übertragen. Rosens Geschichten über Mesopotamien, die deutschen Grabungen in Babylon und Ninive, und über die Authentizität des Alten Testamentes, haben Meneliks historische. Rosen hat zur Leitung der Ausgrabungen bereits jemanden im Blick, den er getroffen hat, als er noch Konsul in Jerusalem war: den jungen Semitisten Enno Littmann. Die wirtschaftlichen Erwartungen der Rosengesandtschaft platzen wie Seifenblasen. Littmanns Aksumgrabung geht in die Wissenschaftsgeschichte ein.