Januar 2005
navigationPoint_1 navigationPoint_2 navigationPoint_3 navigationPoint_4 navigationPoint_5 navigationPoint_6 navigationPoint_7 navigationPoint_8 navigationPoint_9 navigationPoint_10


Urknall, 15 Jahre später

Eine Gesprächsrunde mit Wolfgang Voigt, Ellen Allien, Ata und Hell über 1989, Techno, Party, und was daraus wurde
Interview: Heiko Hoffmann



Was habt ihr vor 15 Jahren gemacht?
Ata Da habe ich gerade angefangen als DJ und war im Begriff mit meinem damaligen Partner Jörg Henze das Delirium zu gründen. Damals bin ich sehr viel weggegangen, da ging in Frankfurt auch noch was. Du konntest an jedem Tag in der Woche weggehen, außer vielleicht montags. Acid habe ich aber übrigens das erste Mal in einem Club in Barcelona gehört. Als ich zurück kam, bin ich sofort zum Boy und habe gesagt: '"Acid! Wo kann ich hier Acid kaufen?'". [Gelächter]


Hell

Ata, du hast aber nicht erst durch Acid angefangen aufzulegen. Oder?
Ata Nein, das ging schon etwas vorher los. Aber mit Chicago-House wurde das viel einfacher mit dem Auflegen. Da kam dann der durchgängige Beat. In vielen Clubs war es in der Zeit auch so, dass der DJ erst alles von Abba bis Zappa gespielt hat und dann kam in der Nacht irgendwann der gerade Beat und Chicago. Dann ging's ab. TUUTTUUT.
Wolfgang Ich bin ja noch ein paar Tage älter als der Ata und durfte schon durch die original 80er. 1989 hatte ich mich mit meinem Freund und Kollegen Jörg Burger mehr schlecht als recht durch die Zitatpop-80er gequält. Dann kam irgendwann die gerade Bassdrum und hat uns von unserem Leid quasi über Nacht befreit. S-Express und meine erste absolute Lieblingsscheibe Baby Fords, ’Oochie Koochie', haben dann sozusagen mein Leben verändert. Wir waren gerade in einer sehr teuren Pop-Produktion, die sehr viel Geld gekostet hat und mussten unseren Produzenten von heute auf morgen stecken: &#146Das geht nicht, wir haben einen neuen Auftrag aus dem All bekommen.' Dann hat der uns auf seine Kosten nach London geschickt und wir sollten dann Acid-House auschecken. Da waren wir eigentlich so breit wie noch nie. Dazu muss man wissen, dass besonders in Köln das ganze 80er-Jahre-Zitatpopding extrem etikettenlastig war. Zu der Zeit hat in Köln noch die Pop-Zeitschrift Spex regiert und was dort geschrieben wurde, das war das Ding. Acid war eine neue Epoche, die einen aus diesem Diktat gewissermaßen befreit hat.


Ellen, was hast du vor 15 Jahren gemacht?
Ellen Oh Gott, 1989. Das war in Berlin natürlich vor allem das Jahr, in dem die Mauer fiel. Da bin ich gerade zurückgekommen aus London, wo ich ein Jahr gelebt hatte. In London habe ich auch die Clubszene kennengelernt und bin in Läden gegangen wo Acid-House mit HipHop vermischt wurde. In Berlin war ich dann das erste Mal im UFO, dem Vorgänger vom Tresor. Aber das war für mich damals keine Musik, die in meine Beine ging. Bei mir fing das erst ein, zwei Jahre später so richtig an. Da bin ich dann in den Planet und in das WMF gegangen. Das war was vollkommen Neues, sich als Frau in einem Club zu bewegen, wo man nicht angetatscht und belästigt wird. Deswegen bin ich da eigentlich nur hingegangen, weil ich mich da frei bewegen konnte. Und ab 1992 habe ich auch aufgelegt.


Hell, du hast ja schon Jahre zuvor als DJ angefangen. Was hast du '89 so aufgelegt?
Hell Ich stand damals auf HipHop und war vor allem dadurch beeinflusst, dass ich in New York war und dort Public Enemy und die Jungle Brothers gesehen habe. Das war für mich schon ein schwerer Einschlag in meinem Leben. Ende der 80er habe ich dann aber immer mehr Chicago- und New-York-House-Sachen in mein Set aufgenommen. In München gab es einen Plattenladen, der hieß Scratch, der hatte immer die heißesten Importe. Vor allem Sachen wie Jackmaster Funk hatten einen großen Einfluss auf mich. Gleichzeitig war zu der Zeit diese Manchester-Rave-Ecke mit Happy Mondays, Stone Roses, Primal Scream und den Charlatans ganz wichtig. Das haben wir dann in München auf unseren Partys vermischt. Ende der 80er war es noch schwierig, so viele House-Platten zu haben, dass man da wirklich ein sicheres bzw. gutes Set über vier, fünf Stunden spielen konnte.


Ellen Allien

Hell, zu der Zeit hast du auch bei Hard Wax in Berlin gearbeitet, oder?
Hell Ja, da war ich Disponent. Das war noch in dem alten Laden.
Ellen Da habe ich angefangen Platten zu kaufen. Es war damals gar nicht so leicht, dort an die heißen Veröffentlichungen zu kommen, weil die so umkämpft waren. Ich bin da teilweise fast zitternd in den Laden rein gegangen.
Hell Das war natürlich eine völlige Männerdomäne. Am Freitag kamen die neuen Import-Platten von den amerikanischen Vertrieben. Durch die guten Kontakte nach Detroit war Hard Wax lange Zeit der Plattenladen, der beste in der Welt würde ich sagen. Die waren wirklich konkurrenzlos, weil die schnellen Zugang zu den heißesten Scheiben hatten. Dann hat DJ Rok als Oberdisponent und Quasi-Chef im Laden als erster eine neue Platte bekommen und kurz angehört. Dann gab es so eine Rangliste, wer die nächsten Exemplare erhält. Das waren zum Beispiel Motte, Westbam, Tanith und Jonzon. Die anderen durften dann später kommen. Motte war der DJ, der mich zu der Zeit am meisten beeinflusst hat. Was Motte damals zu E-Werk-Zeiten gemacht hat, das hat nie mehr annähernd irgendwer erreicht. Was er da für eine Atmosphäre geschaffen hat und wie er die Leute europaweit beeinflusst hat, das war sensationell.
Ellen Motte hat mich damals auch unglaublich gekickt. Das war unglaublich, wenn der gespielt hat, das war ein Film.
Hell Also mich hat das Hard Wax total geprägt. Ich kann echt froh sein, dass es das Hard Wax damals gab. Ohne den Laden hätte ich heute nicht die gleiche Plattensammlung.
Ellen Und Dimitri Hegemann sollte man nicht vergessen. Der hat mit dem Tresor das erste Mal Leute wie Jeff Mills geholt. Das war für uns komplett neu. Als der das erste Mal unten im Tresor aufgelegt hat, wussten wir alle gar nicht, wie wir tanzen sollten. Das war neue Musik.
Hell Die ganzen Leute aus Detroit kamen alle und das war einfach eine Revolution.
Ata Berlin war immer sehr Amerika-fixiert. Frankfurt hatte hingegen viel bessere Kontakte nach England damals.


Ist Älterwerden mit Techno für euch etwas ganz Selbstverständliches?
Wolfgang Die ganze Clubkultur hat sich seit 1989 verändert, nennen wir es mal den Urknall der Bässe. Die gesamte Szene, das gesamte soziokulturelle Leben ist verändert. Es gibt heute ganz andere Konstellationen, es gibt Lifestyles, die sich aus der Technoszene heraus entwickelt haben. Früher, in den 70ern, gab es die berühmte Berichterstattung über David Bowie, ob man glaubwürdig mit Popkultur altern kann. Das hat sich heute ja erübrigt. Ich denke, wir hier sind alle ganz gute Beispiele dafür, dass man hervorragend Generationen übergreifend arbeiten kann, solange der Geist frisch bleibt. Und man kann in diesen alternativen Lebenskonzepten auch alt werden.


Habt ihr den Eindruck, dass nun der große Höhepunkt von Techno vorbei ist?
Ellen Also Techno am abstumpfen? Sehe ich gar nicht so. Kompakt wächst. Wir wachsen auch. Ich habe auf so vielen Raves gespielt in diesem Sommer und alles war total voll.


Ata

Aber für Jugendliche ist Techno heute nur noch eine von vielen Optionen.
Hell Wunderbar! Dann geht es wieder zu den Anfängen zurück. Ich habe auch das Gefühl, dass es momentan wieder eine klarere Vorstellung bezüglich elektronischer Musik gibt. Es gibt gerade wieder viele DJs, die sich auf Tracks einigen können. Und es gibt so viele geile Tracks. Für mich gibt es eine neue, deutliche Sprache und das ist doch ein gutes Zeichen.
Ellen Deutsche Musik wird jetzt erst richtig international wahrgenommen, in England, in Amerika, in Japan. Das geht jetzt erst richtig los.
Hell Wir Deutschen hatten einen großen Einfluss auf die ganze elektronische Kultur. Es muss jetzt nicht unbedingt führend sein, aber alle Welt schaut auf Deutschland: Was wird da produziert?
Wolfgang Man kriegt mittlerweile Demos aus aller Welt, die irgendwie versuchen, unterstellterweise, einem das zu schicken, was einen gewissen deutschen Einfluss hat.
Hell Leider ist es noch verdammt oft so, dass die versuchen, einen Stil zu imitieren. Man sollte eigenständige Musik machen, die mit eigener Kultur arbeitet.
Wolfgang Richtig. Jetzt werden die Bälle zurückgespielt. Ende der 80er, Anfang der 90er kam die spannende Musik aus Chicago oder Detroit. Nachdem man erstmal drei Jahre in Ehrfurcht erstarrt ist und einen Kniefall gemacht hat, wenn Jeff Mills zur Tür hereinkam, entwickelte sich dann aber irgendwann in Deutschland eine neue Produzentengeneration, die beschloss, dass es sinnvoller ist diese Musik zu nehmen, sie als eine neue globale, nicht-nationale Sprache zu verstehen und zu sagen: Damit kann ich auch was anfangen. Jeder konnte mit 2000 Mark damals spannende Musik mit einfachem Equipment machen. Das war scheißegal, wo das herkam, Hauptsache es war gut. Die Sprache war einfach Musik, im Subtext ...
Ellen Dance-Musik ...
Wolfgang Ganz genau. Und das ist das Ding.


Was seht ihr im Techno denn gerade an Entwicklungsmöglichkeiten?
Hell Musikalisch ist es ja gerade wieder hip, Anfang-90er-Sachen zu spielen, von ganz am Anfang bis zu belgischen Sachen und Technosachen. Das frischt ein Set sehr auf, weil es uranalog ist und so kraftvoll und dynamisch.
Wolfgang Es funktioniert mittlerweile mit eigenen historischen Verweisen. Du kannst 92er-Techno glaubwürdig in ein 04er-Set einbringen. Die Grenzen sind fließend und im Übrigen uninteressant, solange es musikalisch funktioniert. Die Hälfte der Leute wissen nicht, was eine alte Bassdrum ist, freuen sich aber, halten es vielleicht für eine neue. Ist ja auch wurscht, weil es funktioniert. Das ist was zählt.
Ellen Also für mich als DJ ist das auch super, dass ich soweit zurückgreifen kann. Das konnte ich ja früher nicht. Jetzt kann ich mittlerweile auf die 90er, auf die 80er zurückgreifen, was so ein Set ja interessanter macht.
Wolfgang Ich überlege auch gerade, meine alten Produktionen wieder erhältlich zu machen. Es ist so, dass auch in unserer Ecke wahnsinnig oft rüberkommt, dass Techno jetzt ein historisches Ding ist, obwohl es für mich immer noch die neueste und spannendste Musik ist. Insofern ist der Anlass dieser Runde hier, 15 Jahre nach '89/'90, schon ganz richtig, das ist für mich auch der Urknall gewesen, dessen Planetensystem sich heute noch findet. Es gibt Subtrends und Mikrotrends, die sich immer noch bewegen. Es gibt mittlerweile mehrere Generationen. Es gibt Kids um die 20 rum, die gehen jetzt raus, die hören was, was wir wahrscheinlich alle als Minimal-Techno bezeichnen würden und was wahnsinnig mit dem zu tun hat, was wir schon Anfang, Mitte der 90er kannten, was sich mit neuer Software und neuem Equipment, aber auch altem, weiterentwickelt. Die gehen da ganz frisch ran, weil die es nicht besser wissen. Ich glaube, auch in den 90ern war die Entwicklung so rasant, dass vieles an Marginalien, das damals am Rande liegen geblieben ist, heute wieder aufgegriffen wird. Dass Leute wieder ganz frisch rangehen, dass die da Sachen finden, die wir irgendwo mal liegengelassen haben. Da werden Bälle weitergespielt, vor und zurück. Aber letztendlich mit einem neuen Blick nach vorn.
Ellen Was braucht denn ein Dance-Track schon? Eine gewisse Monotonie und einen Beat, mehr nicht! Die Detroiter haben das am besten beherrscht, weil es sexy war und funky.


Wolfgang Voigt

Es fällt schwer, sich wieder eine radikale, übergreifende musikalische Veränderung vorzustellen, wie sie sich vor etwa 15 Jahren ereignet hat.
Wolfgang Man muss sehen, dass in der Geschichtsschreibung die Popmusik nie anders funktioniert hat. Nach Rock'n'Roll kam Hardrock, nach Rock kam Pop, dann kam Punk, dann kam New Wave. Dann kam wieder Pop, dann kam House, Techno und Acid, das kennen wir. Das sind die ganz großen Headliner. Allerdings hat sich dieses ganze System der Hipnesskultur in Techno aufgelöst und erübrigt. Es wird mutmaßlicherweise keinen Urknall wie Acid mehr geben.
Hell Man muss aber auch neue Verbindungen sehen. Diese ganze Rockmusik, die verboten war in elektronischer Musik, die ist plötzlich fusioniert und dadurch ist etwas Neues entstanden. '97 war Rockmusik mit elektronischen Beats nicht vorstellbar. Und jetzt sitzen wir hier und das ist so eine deutliche Sprache, das ist so eine enge Fusion, das sind so geile neue Sachen, die da entstehen.
Ellen Was ich halt mitbekomme ist, dass die DJs und die Laptop-Künstler vereinsamt sind. Durch diese Vereinsamung gibt es jetzt das Bedürfnis, wieder mit anderen Leuten zusammenzuarbeiten. Die versuchen wieder in einer Gruppe zu arbeiten. Viele Artists, die ich spreche, denken gerade darüber nach, eine Band zu gründen. Ich habe zum Beispiel vor zwei Wochen die T.Raumschmiere-Band gesehen und das war super. Das hat gerockt! Endlich mal nicht ein Typ, der mit dem Laptop da steht, sondern eine Band, die einen anblökt und mit Klamotten schmeißt.


Allerdings kann man dieses Bedürfnis, gemeinsam mit anderen zu musizieren, auch bei Laptop-Künstlern beobachten. Ricardo Villalobos etwa mit seinem Narod-Niki-Projekt.
Ata Ich denke, der würde sofort eine Band gründen, wenn er die Möglichkeit hätte, seine verrückten Kreationen zu übersetzen. Und dieses Narod Niki ist ja so etwas ähnliches, er versucht ja, eine Band zu gründen. Jetzt ist es etwas, wo man sich einfach nur einpluggt und dann geht's los.


Das ist eine Form des digitalen Jammens.
Ata Genau.
Wolfgang Es gibt auch Laptop-Virtuosen. Das Entscheidende ist: Es gibt Laptop-Gigs, die sind weniger live als manche DJs, einfach weil sich der DJ reinhängt und jede Platte vollschwitzt. Es gibt aber auch Laptop-Acts, die sind sexy, machen Rock'n'Roll und sagen: Ich bin hier für Entertainment. Die scheißen auf die Technik und ziehen sich aus, und es gibt natürlich auch so Headbanger-Typen, die eigentlich synthetische Liveacts machen, wie Acid Scout oder T.Raumschmiere, wo aber soviel los ist, dass die Funken fliegen. Einfach Entertainment. Das ist immer ein bisschen schwierig gewesen im Techno mit den Liveacts.
Hell Es gab das nicht so oft.
Wolfgang Stage Diving darf zurückkommen, wenn es weiß, warum es weg war.



www.bpitchcontrol.de www.kompakt-net.de
www.gigolo-records.de www.ongaku.de


-- BPITCH CONTROL Playlist
-- Kompakt Playlist

Weitere Beiträge von Heiko Hoffmann:
Richie Hawtin: Minimize to Maximize, Ableton Live 5, GOMMA Records