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mare No. 39: DIE MEGAWERFT


Daewoo baut Schiffe wie am Fließband. Jedes Jahr laufen im südkoreanischen Okpo an die 40 Frachter vom Stapel. Dazu braucht es gigantische Anlagen, akribische Planung und eine Belegschaft, die jedem Appell der Firma folgt - und sich nichts Schöneres vorstellen kann, als noch länger und noch härter zu arbeiten

Text: Bertram Job   Fotos: Nicolas Cornet

Textauszug

Dieser Platz ist mein Leben", schwärmt der Mann, "hier möchte ich bleiben. Ich habe keine anderen Pläne, als hier zu sein." Von seiner kleinen Kanzel, die an ein Flugzeugcockpit erinnert, genießt Kil-Soo Kang eine Aussicht, um die ihn die anderen wohl oft genug beneiden, wie er glaubt. 100 Meter über der Erde sieht der 48-jährige Kranführer die montierbereiten Schiffsteile wie Bauklötze in dem Trockendock und die Menschen dazwischen wie Spielzeugfiguren.

Wenn er sich zwischendurch einmal abgespannt fühle, sagt Herr Kang, "dann blicke ich einfach aufs Meer hinaus; das ist genug Erfrischung". Darum versteht er auch nicht, warum er in den 23 Jahren seiner Betriebszugehörigkeit jemals hätte Urlaub machen sollen. Die gelegentlichen Angelausflüge und die Abende vor dem heimischen Fernseher waren ihm immer ausreichend Pause.

Kang ist also sieben Tage in der Woche hier - auf der Werft der Daewoo Shipbuilding & Marine Engineering Company (DSME) in Okpo, auf der Ostseite der südkoreanischen Insel Koje. Durch seine vielen Überstunden hat er eine Eigentumswohnung am Stadtrand, in der er mit seiner Frau und den beiden collegereifen Töchtern wohnt, abbezahlen können. Aber eigentlich lebt er auf diesen fünf Quadratmetern über dem größten Trockendock der Welt, das so groß ist wie siebeneinhalb Fußballfelder. Dort ist er allein mit sich, dem Funkgerät und den blonden Schönheiten eines europäischen Pin-up-Kalenders, um für jeweils sechs Stunden seine Präzisionsarbeit zu versehen.

Wohl zwei Drittel der 500 kommerziellen Schiffe, die in Okpo bisher gebaut wurden, mögen durch Kangs verlängerte Finger gegangen sein - außer ihm gibt es nur noch drei weitere Männer für die höchste Position auf der Werft. Und dieser enorme Ausstoß hält unvermindert an. Vier Riesenkähne werden zurzeit simultan im Trockendock 1 zusammengesetzt; ein weiterer Torso steht am kleineren Dock 2. Insgesamt sind auf der Werft gerade 36 Öl- und Chemietanker, Fracht- und Containerschiffe sowie diverse Fähren in verschiedenen Stadien der Produktion. Das Auftragsbuch zählt 82 Order aus aller Welt, die in den nächsten zweieinhalb Jahren bedient sein wollen.

So viel Betriebsamkeit kann nur herrschen, weil Südkoreas Werften durch eine aggressive Preispolitik kaum zu schlagen sind, klagen die europäischen Konkurrenten. Weil sie sich ihren auf 30 Prozent geschnellten Weltmarktanteil durch den niedrig gehaltenen Won-Kurs und verdeckte staatliche Subventionen erkämpft haben - während der Anteil der Europäer inzwischen auf sieben Prozent geschrumpft ist. Daher hat eine EU-Kommission im Oktober vergangenen Jahres Klage vor der Welthandelsorganisation eingereicht und eine Studie vorgelegt, wonach die Preisangebote der Koreaner mitunter noch deutlich unter ihren Produktionskosten lägen.

Die 4,2 Millionen Quadratmeter große Fläche, auf der die DSME ihre Bohrinseln, Handels- und Marineschiffe baut - das ist für sich schon eine komplette Stadt (nur die Werft von Hyundai Heavy Industries in Ulsan ist noch deutlich größer). In dieser Stadt der Schiffe arbeitet die Mehrzahl der 10300 Angestellten mit weiteren Tausenden Kräften, die bei Subunternehmern beschäftigt sind. 60 Busse und 18 Call-Taxis bewältigen den Werksverkehr. 16 Kantinen bereiten das Mittagessen. Es gibt eine eigene Bankfiliale und eine eigene Ambulanzstation, einen Landeplatz für Helikopter und vier Werkstore.

An diesen Toren, und nicht im drei Kilometer entfernten Ortskern, beginnt jeden Morgen das öffentliche Leben, wenn die ausnahmslos im grauen Firmendrillich gewandeten Massen zur Tagesschicht anrücken. Von halb sieben an bis kurz vor acht kommen sie in langen Autoschlangen, über 50 Zubringerbussen und Tausenden Fahrrädern hier an. Und während sie ihren Arbeitsplätzen zustreben, quillt aus ungezählten Lautsprechern Walzermusik von Richard Strauss. Es ist der optimistische Auftakt zu einem Arbeitsalltag, der disziplinierter kaum auflaufen könnte.

Anders als die 15000 Besucher im Jahr hat Kim die vielen Abteilungen und Produktionsstufen auf der Werft bis heute nicht gesehen. Sie kennt nur den Weg zu ihrem Platz, der "Pre-Erection Area", der Vormontage, beim Trockendock 1. Das ist ihr Dorf innerhalb der Stadt, hier bessert sie mit einem automatischen Schweißgerät die Stoßkanten der fertigen Montageteile nach. Und hier ist ihre Arbeitsgruppe, "Pan" genannt, in der sie wie in einer zweiten Familie lebt. Arbeit und Pausen, die halb privaten Einladungen nach Feierabend und die gelegentlichen Treffen im Restaurant - das alles wird in Korea innerhalb jener zehn- bis 20-köpfigen Werkgruppen organisiert.

In ihrem Arbeitsoverall aus Wildleder, der einmal hellblau gewesen ist und sie vor Funkenflug schützt, klettert Kim dann ins Innere von Block 135 eines halb fertigen Flüssiggastankers mit der Auftragsnummer 2217. Dort setzt sie das automatische Schweißgerät an und lässt es in gleichmäßigem Tempo die Kante entlanglaufen.

Es sind oft die 1600 Frauen auf der Werft, denen man die unangenehmen Jobs überlässt. In der Lackiererei schicken sie das wendigere Geschlecht mit Atemmasken und Farbpistolen in die verwinkelten Ecken. Im Inneren der Schiffstanks besorgen Trupps von wie Astronauten vermummten Frauen das Anstreichen und Reinigen. Dennoch können sich die meisten keine andere Arbeit vorstellen als diese, auch Kim nicht.

Die Harmonie in der Arbeitsgruppe, der Ehrgeiz, immer gut genug zu sein - vielleicht sind auch das die Trümpfe von Okpo. Die hier arbeiten, sind im Durchschnitt seit 20 Jahren dabei und leisten jeden Monat 50 Überstunden. Dadurch prosperieren sie ebenso wie das Unternehmen: Zuschläge und Prämien eingerechnet, kommen sie bei weniger als zehn Prozent Steuerlast auf bis zu 2000 Dollar im Monat. So viel verdient ein Arbeiter in Südkorea sonst nirgends, erklärt Herr Cho, Funktionär der hiesigen Gewerkschaft. 85 Prozent der Belegschaft hätten heute ein Auto, und immer mehr kauften Wohnungen, wie der Kranführer Kang und die Schweißerin Kim. Dadurch ist, sagt Cho, über die Jahre eine stahlharte Loyalität gewachsen: Was immer die Menschen an Wohlstand anhäufen konnten, führten sie auf ihre Beziehung zur Werft zurück.

So bestimmt die Werft in jeder Hinsicht den Rhythmus des Lebens in dieser Stadt, in der 70 Prozent der 45000 Einwohner auf irgendeine Weise mit ihr verbunden sind. Und beinahe alles, was hier steht, wird von der DSME unterhalten: das Krankenhaus und die Spezialkliniken, die meisten Kindergärten und Schulen, Apartmenthäuser für 3500 Familien und das Businesshotel. Gegen die Werft zu sein hieße unter diesen Umständen, gegen alles Leben in diesem Städtchen zu sein. "Das ist nicht Okpo City", sagt ein PR-Manager der Werft, "das ist Daewoo City."

So mächtig hatte sich auch Veluka Kostel das Ganze nicht vorgestellt. Der 23-jährige Rumäne ist einer von derzeit 290 Gastarbeitern aus Mangalia bei Constanza, die für ein knappes Jahr auf der DSME-Werft arbeiten - je vier Köche und Teamleader eingerechnet. Die meisten seiner Kollegen haben dort auf einer Werft, die Daewoo seit 1997 mit der rumänischen Regierung als Joint Venture betreibt, schon einige Erfahrung gesammelt. Doch der bullige Veluka, der die rumänische Schwarzmeerküste vorher nie verlassen hatte, kam völlig unbeleckt hier an und wäre in dieser Stadt aus Stahl anfangs beinahe verloren gegangen. "Ich wusste ja nichts über Riesenwerften", sagt er, "oder über Korea."

Ein paar Brocken Englisch und Handzeichen mussten ausreichen, damit Veluka im Trockendock 1 zu gebrauchen war. Inzwischen hat er gelernt: Guten Morgen heißt "anyanaseo", Hammer heißt "mangchi" und Schraubendreher "toraibo". Die koreanischen Kollegen in seiner Pan haben ihn, seit er im Januar hier begann, oft genug zu Kimchi, zu eingelegtem Chinakohl, und Bier nach Hause eingeladen. Zu seinem Geburtstag ging die Gruppe mit ihm auf einen zweitägigen Ausflug zu einem wunderschönen Berg, dessen Namen er vergessen hat. Aber natürlich geht es ihm in erster Linie um etwas anderes: "Ich will hier etwas lernen, damit ich in Mangalia einen guten Job bekommen kann."

Auch Veluka macht Überstunden. Von Montag bis Samstag pendelt er zwischen dem Dock und dem Zweibettzimmer in dem Wohnblock auf dem Werftgelände. Die wenige Freizeit geht mit Computerspielen und gelegentlichen Ferngesprächen vorbei. Alle seine Landsleute halten das in etwa so, sagt Ion Circhelan, Leiter der rumänischen Brigade. Der Lohn ist besser als in Mangalia, und täglich lerne man dazu. Die bestens aufeinander abgestimmten Produktionsschritte, der ehrgeizige "asiatische Geist", wie er das nennt, das alles hat den 53-jährigen Chef der Brigade spürbar beeindruckt. "Die Leute tun hier, was sie sich vornehmen", sagt Circhelan. "Sie lassen nicht locker, ganz egal, wie lange etwas dauert."

Bertram Job, Jahrgang 1959, arbeitet seit 18 Jahren als freier Autor in Düsseldorf.
Der Fotograf Nicolas Cornet, geboren 1963, lebt in Paris, ist aber häufig in Fernost unterwegs - seine Frau stammt aus Vietnam. Beide nahmen in Okpo an so vielen Zeremonien zur Kiellegung oder Taufe teil, dass ihr Hunger nach Reiskuchen für eine Weile gestillt ist.



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 Inhalt mare No. 39
Pfeil Die Verbannten
Pfeil Ostseeperlen
Pfeil Lietzows Leben
Pfeil Lebenskünstler
 Schwerpunkt
PfeilDie Megawerft
PfeilAn den kleinen Schrauben drehen
PfeilDer Nachtfalter
PfeilStrandung am Ararat
PfeilSchiffe machen Geschichte
PfeilPorträt der jungen Königin
PfeilTradition und Zuckerguss
PfeilSchwein, Weib und Gesang
PfeilDie Materialschlacht
PfeilFórcola
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