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mare No. 39: PORTRÄT DER JUNGEN KÖNIGIN


1936 erhielt der Luxusliner "Queen Mary" den letzten Schliff. Madame Yevonde, mondäne Meisterin der Farbfotografie, dokumentierte die Arbeiten für das Magazin "Fortune"

Von Zora del Buono   

Bekannt waren sie alle, jede auf ihrem Gebiet. Und alle vier Damen bemühten sich, das Beste aus sich und der neuen stählernen Schönheit zu machen. Es waren die dreißiger Jahre, die schlimmste Zeit der wirtschaftlichen Baisse schien überwunden, und die Reederei Cunard konnte die seit drei Jahren unterbrochenen Arbeiten an dem neuen Transatlantikliner wieder in Angriff nehmen, nachdem die britische Regierung ihr finanziell unter die Arme gegriffen hatte. Die Damen kamen alle aus gutem Hause, und aus der Masse der am Schiffbau beteiligten Männer stachen sie heraus wie Diamanten.

Die Königin selbst hatte ihren Auftritt als Erste. 1934 wurde sie zum Stapellauf gebeten, der Name des Schiffes war als großes Geheimnis gehütet worden. Queen Mary taufte den Passagierdampfer auf ihren eigenen Namen. Die Zeremonie war so inszeniert, dass die Königin für die Fotografen vor dem bestmöglichen Hintergrund stand: dem blütenweißen Rumpf der "Queen Mary".

24 Monate und einige Pannen später nahmen sich drei weitere Damen der großen Lady der Ozeane an. Die Schwestern Doris und Anna Zinkeisen erhielten den Auftrag, die repräsentativen Innenräume zu gestalten. Vor allem Doris war eine gefragte Künstlerin, ihre Bilder sollten in die Geschichte der gepflegten dekorativen Malerei eingehen und später als Poster reißenden Absatz finden. Doris Zinkeisen war 38 Jahre alt, als sie den Auftrag annahm. In Hollywood als Kostümbildnerin begehrt, war sie eine Erfolg gewohnte Frau aus der schottischen Upper Class, die mit ihrem Talent einen frühen Weg in die kommerzielle Welt gefunden hatte. Sie malte viel und gerne - am liebsten abgeschirmt von den Handwerkern, die auf der Baustelle am Streichen, Hämmern und Löten waren. Für die beiden Malerinnen schaffte man Paravents heran, damit sie ungestört arbeiten konnten.
Madame Yevonde hingegen störten die Handwerker nicht, ganz im Gegenteil: Die Fotografin nutzte die Männer als Teile ihres Bildaufbaus und drapierte sie vor den bemalten Wänden.

Madame Yevondes Mädchenname war Yevonde Cumbers, und das "Madame" hatte sie sich zugelegt, weil es zu ihrem mondänen Beruf passte. Sie stand mit 43 Jahren auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, als sie den Auftrag des Magazins "Fortune" annahm, die letzten Tage des Baus der "Queen Mary" zu dokumentieren.

Yevonde hatte sich schon als junge Frau ein Ziel gesetzt: selbstständig zu sein. Die Zeit war für dieses Anliegen nicht eben günstig. Zwar erreichte die Bewegung der Suffragetten gerade ihren Höhepunkt, doch gesellschaftlichen Rückhalt fanden die Forderungen der Frauen kaum. Die glühenden Feministinnen waren aufsässig - so aufsässig, wie jeder sein muss, der Veränderungen gegen jeden Widerstand durchsetzen will. Auch Yevonde war eine jener Frauen, die demonstrierten und forderten. Sie war aber nach eigenen Worten keine der Märtyrerinnen, die sich für ihre Überzeugungen ins Gefängnis einliefern ließen. Deshalb entschied sie sich auch gegen eine Assistenz bei der großen Fotografin der Suffragettenbewegung und für eine Anstellung bei der führenden Fotografin der High Society, Lallie Charles. Die Studiofotografie war um das Jahr 1910 durchaus mit Frauen besetzt, galten Frauen doch als "einfühlsamer", wenn es etwa um "subtile Sujets" wie Familienporträts ging.

Madame Yevonde lernte schnell und eröffnete bald mit finanzieller Hilfe ihres Vaters ein eigenes Studio in London. Schon als kleines Mädchen hatte sie Rollenspiele, Verkleidungen und üppiges Dekor geliebt. Ihr Interesse an der Frauenbewegung konnte sie wunderbar mit diesen Inszenierungen verbinden, und sie avancierte zu einer der ersten Künstlerinnen, die das Geschlechterverhältnis zum Thema machte. Sexuell konnotierte Motive, Studien über Virilität und Androgynität wurden ihre Sujets.

Nach dem Ersten Weltkrieg gründeten sich die ersten Modemagazine; die Leserinnen fanden Gefallen an verruchten Frauen wie Marlene Dietrich oder Greta Garbo. Mutterschaft und ein gelangweiltes Aristokratendasein waren nicht mehr das Ideal.
Yevonde nahm sich der Porträtfotografie an. Sie war eine hervorragende Technikerin, und mit Beginn der Dreißiger übte sie sich in Farbfotografie. Es war eine Zeit, als die meisten glaubten, Farbe sei ein kurzlebiges Phänomen, das keine Chance auf dem Markt haben würde. Yevondes Spezialität war die Vivex-Technik, bei der die Schichten der Farbpigmente Cyan, Magenta und Gelb separat entwickelt wurden, was viel Spielerei erlaubte. Die Künstlichkeit der Farben war ihr kein Problem, vielmehr Programm; ihre Affinität zum Surrealismus tat dabei ein Übriges. Als sie die "Queen Mary" fotografierte, war nicht Authentizität ihr Anliegen, sondern Inszenierung. Ihre Bilder wirken wie Filmstills, hoch ästhetisiert und voller Ironie.

Bei ihrer Jungfernfahrt über den Atlantik 1936 war die "Queen" mit Art-déco-Möbeln ausgestattet, mit bemalten Wänden und liebevoll gestalteten Dekors - ein Traum von einem Linienschiff. Bald aber sollte es Veränderungen geben, nicht nur in der Weltpolitik, auch im Leben der Königin, der Malerinnen, der Fotografin - und auch bei der "Queen Mary" selbst.

George V. stirbt 1937, und Mary ist nicht länger Königin; ihr ältester Sohn Edward wird für kurze Zeit König werden, so lange, bis er die Krone wegen der Heirat der geschiedenen Amerikanerin Wallis Simpson zurückgibt. Doris und Anna Zinkeisens Arbeit in Hollywood gewinnt neue Dimensionen, denn mit Beginn des Farbfilms ändert sich das Berufsbild des Kostümbildners. Madame Yevondes große Zeit als Farbfotografin endet 1940. Das Vivex-Studio schließt, die Technik mit den Pigmenten stirbt aus, und die Fotografin verliert ihre ureigenste Spezialität. Sie arbeitet bis zu ihrem Tod 1975 weiter als Schwarzweißfotografin, kann aber nicht mehr an die Erfolge ihrer großen Zeit anschließen.

Die "Queen Mary" wird nach drei Jahren zum Truppentransporter umgerüstet, ihr makellos weißer Anstrich, der die Königin so gut zur Geltung gebracht hatte, weicht militärischem Grau. Das einstige Luxusschiff transportiert während des Krieges Soldaten über Pazifik und Atlantik; 16683 Mann an Bord sind der Rekord. Nach dem Krieg wird sie wieder Linienschiff, bis sie in den sechziger Jahren die Atlantiküberquerung Flugzeugen überlassen muss. Seit 1967 liegt die "Queen Mary" in Long Beach, Kalifornien. Sie ist ein Hotel, das an bessere Zeiten erinnern soll.





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 Inhalt mare No. 39
Pfeil Die Verbannten
Pfeil Ostseeperlen
Pfeil Lietzows Leben
Pfeil Lebenskünstler
 Schwerpunkt
PfeilDie Megawerft
PfeilAn den kleinen Schrauben drehen
PfeilDer Nachtfalter
PfeilStrandung am Ararat
PfeilSchiffe machen Geschichte
PfeilPorträt der jungen Königin
PfeilTradition und Zuckerguss
PfeilSchwein, Weib und Gesang
PfeilDie Materialschlacht
PfeilFórcola
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