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mare No. 39: AN DEN KLEINEN SCHRAUBEN DREHEN

AN DEN KLEINEN SCHRAUBEN DREHEN

Wenn Ingenieure könnten, wie sie wollten, wären Schiffe sauber, sparsam und sicher zugleich. Doch welcher Reeder zahlt gerne mehr für Innovationen? Also laufen weiter Kompromisse vom Stapel

Von Burkhard Strassmann


Textauszug

In der Technischen Universität Harburg steht eine große Maschine und macht mehrmals die Woche Radau. Der haushohe 440-Kilowatt-Einzylindermotor läuft im Dienst der Schifffahrt. Horst Rulfs und seine Mitarbeiter vom Arbeitsbereich "Wärmekraftanlagen und Schiffsmaschinen" studieren Details der Verbrennung. Was passiert, wenn ich den Motor nicht nur mit einer einzigen Portion Kraftstoff füttere, sondern ihm zusätzlich winzige "Piloteinspritzungen" anbiete? Wird er wie erhofft die giftigen Stickoxide in den Griff bekommen? Schiffsmotoren sind ins Gerede gekommen, seit Klimaexperten ihnen Einflüsse auf das globale Klima unterstellen. Eine Reduzierung der Emissionen wäre eine dringend notwendige Neuerung. Spektakulär wäre sie nicht. Innovation im Schiffbau - das heißt bisweilen: an kleinen Schrauben drehen.

Wer gemeinhin an modernen Schiffbau denkt, dem kommen Bilder in den Sinn, die er im Fernsehen oder in der Zeitung gesehen hat: Schiffe, die knapp über der Wasseroberfläche fliegen. Schiffe mit fünf Rümpfen. Schiffe, die sich von einem Lenkdrachen ziehen lassen. Es stimmt ja auch: Für die schwedische Marine wurde eine Tarnkappenkorvette komplett aus Kunststoff gebaut. Die Amerikaner entwickeln 100 Meter lange Militärtransporter, die unerhörte 60 Knoten (mehr als 100 km/h) schnell sein sollen. Technologische Sensationen, Zukunftsprojekte.

Der gewöhnliche Schiffbauer denkt dagegen über "Nutzfahrzeuge" nach. Er hat gelernt, gemeinsam mit den Kunden zu rechnen. Für ihn bedeutet Innovation das Ausloten technischer Grenzen unter Berücksichtigung limitierender Faktoren: Sicherheit, Umweltverträglichkeit und insbesondere die Kassenlage der Kunden. Deren Zielvorgabe lautet in der Regel: Innovation gern, aber kostenneutral.

Viele schöne Entwicklungsziele. Leider widersprechen sie einander. Klassisches Beispiel: Mit viel Aufwand schafft es ein Konstrukteur, einen sparsamen Motor zu entwickeln. Natürlich sollte ein Motor, der weniger verbrennt, auch weniger Abgas produzieren. Doch dafür nimmt nun das Volumen bestimmter Abgasgifte zu. In der Branche kursiert das Wort "Dieseldilemma". Ein Dieselmotor, der weniger verbraucht, stößt erwartungsgemäß auch weniger CO2 aus. Doch meist nimmt zumindest der Stickoxidausstoß bedrohliche Ausmaße an. Weniger Verbrauch und weniger Emissionen zugleich sind nicht oder nur aufwendig zu haben.

Sollten die weltweiten Regelungen zum Thema Schiffsemissionen, die zwar von der International Maritime Organisation (IMO) verabschiedet, aber noch lange nicht ratifiziert sind, dereinst unterschrieben werden, dann werden solche "innermotorischen Maßnahmen" nicht mehr ausreichen. Dann wird man das Abgas nachbehandeln müssen. Die SCR-Technik (Selective Catalytic Reduction), bei der eine wässrige Harnstofflösung ins Abgas gesprüht wird, erlaubt die fast völlige Umwandlung der giftigen Stickoxide in Atemstickstoff. An Land wird dies gerade bei Lkws erprobt. Auf See ist die Technik schon unterwegs: Die "Cellus" des Kollmarer Reeders Rörd Braren wurde - wie rund 80 weitere Schiffe - entsprechend ausgerüstet und erhielt in diesem Frühjahr als weltweit erstes Schiff das strenge Umweltzeichen "Blauer Engel".

Der Ökotrip ist allerdings teuer. Nicht allein die Technik kostet, sondern jede Seemeile. Neben der Harnstofflösung verbrennt ein solches Schiff, um den Katalysator nicht zu verstopfen, statt des billigen Schweröls am besten teuren schwefelarmen Diesel. Auf absehbare Zeit noch freiwillig, wird diese Technik der Abgasbehandlung derzeit fast nur von Fähren im Verkehr mit Skandinavien genutzt, wo solche Bemühungen subventioniert werden. Oder im Auftrag von "grünen" Kunden - die "Cellus" fährt für einen Zelluloseproduzenten, der etwas gegen das Schmuddelimage seiner Industrie unternehmen will.

Der Schiffsmotorenbau ist, wo er nicht vorne liegt, mithin mindestens ebenso innovativ wie der Pkw-Motorenbau, der schon wegen der gewaltigen Stückzahlen eher konservativ sein muss. Doch wie verhält es sich mit dem Design, das ja nicht nur etwas für die Augen ist, sondern auch für den Luft- beziehungsweise Wasserwiderstand verantwortlich ist?

Hier deutet sich im Schiffbau derzeit ein radikaler Umbruch an. Auf der einen Seite zeichnen altgediente "naval architects" wie eh und je ihre bewährten Linien, weil sie einfach wissen, wie man ein Schiff zeichnet, das lange Jahre treu durch die Weltmeere pflügt und seinem Eigner Gewinne einfährt. An ihrer Seite stehen die Ingenieure der Schiffbauversuchsanstalten, die die Entwürfe in Modelle umsetzen und diese durch ihre Erprobungsbecken schleppen. Hier wird seit mehr als einem Jahrhundert der Richterspruch über das Schicksal eines Entwurfs gefällt.

Auf der anderen Seite treten neuerdings freche Kollegen auf, die der heftig umstrittenen Ansicht sind, dass man den Schiffsbetrieb vollständig am Computer simulieren und sich sowieso nur auf Zahlen verlassen kann. Und plötzlich gibt es Schiffe, die mit seltsamen Dellen und Beulen ausgestattet sind.

Die Simulationsprogramme, die hier an der Technischen Universität (TU) gemeinsam mit der Flensburger Schiffbau Gesellschaft entwickelt werden, gehören zu den fortschrittlichsten Werkzeugen der Schiffbauer überhaupt. Denn jedes große Schiff ist Prototyp und endgültiges Produkt zugleich. Und ist ein Schiff erst einmal im Wasser, sind Entwicklungsfehler kaum noch oder nur mit viel Geld zu revidieren. So gilt ein Frachter, der einen Knoten langsamer läuft als vertraglich vereinbart, in der Branche als Totalschaden.

Burkhard Strassmann ist Autor im Ressort "Wissen" der Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit".



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 Inhalt mare No. 39
Pfeil Die Verbannten
Pfeil Ostseeperlen
Pfeil Lietzows Leben
Pfeil Lebenskünstler
 Schwerpunkt
PfeilDie Megawerft
PfeilAn den kleinen Schrauben drehen
PfeilDer Nachtfalter
PfeilStrandung am Ararat
PfeilSchiffe machen Geschichte
PfeilPorträt der jungen Königin
PfeilTradition und Zuckerguss
PfeilSchwein, Weib und Gesang
PfeilDie Materialschlacht
PfeilFórcola
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