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mare No. 39: STRANDUNG AM ARARAT

STRANDUNG AM ARARAT

Die Bibel überlieferte uns den Bau eines ganz besonderen Schiffs: Mit zigtausend Tieren an Bord trotzte die Arche Noah der göttlichen Wut. Die Kreationisten suchen nach ihren Überresten

Von Andreas Wenderoth


Textauszug

Und der Herr sprach zu Noah: Geh in die Arche, du und dein ganzes Haus; denn dich habe ich gerecht erfunden vor mir zu dieser Zeit. Denn von heute an in sieben Tagen will ich regnen lassen auf Erden vierzig Tage und vierzig Nächte und vertilgen von dem Erdboden alles Lebendige, das ich gemacht habe. Und Noah tat ganz, wie ihm der Herr geboten hatte.
Genesis, 7,1

"Es wäre die größte archäologische Entdeckung dieses Jahrtausends." Der Mann mit der Hornbrille betrachtet den Hefter mit den Klarsichtfolien: Fotos eines Berges in der Osttürkei, den er bereits 14 Mal bestiegen hat. 14 Mal war er Augenzeugenberichten auf der Spur, die irgendwo in der Nähe des Gipfels des Ararat zigarrenförmige, schiffsrumpfartige Schatten gesehen haben wollten. 14 Mal hat er unsägliche Strapazen auf sich genommen, 14 Mal nie etwas gefunden.

Und wenn es Gottes Wille ist, da ist sich der pensionierte Physiklehrer aus San Bernardino sicher, wird er eines Tages vor den Resten jener Arche stehen, die Gott nach der biblischen Überlieferung Noah bauen ließ, als er die Sintflut zur Erde geschickt hatte. "An der Existenz der Arche gibt es keinen Zweifel", sagt McIntosh und wird weitermachen, bis er sie gefunden hat oder man ihm stichhaltig nachweisen kann, dass es sie nie gab.

Letzteres ist insofern unwahrscheinlich, als sich McIntosh zu den Kreationisten zählt, jener Gruppierung überaus einflussreicher religiöser Fundamentalisten also, die lieber von Noah als vom Affen abstammen möchten und auf einer wortwörtlichen Auslegung der Bibel beharren. Die überzeugt sind, dass die Arche Noah keine These oder Parabel, sondern Gewissheit ist und vor rund 5000 Jahren mit Zigtausenden Tieren an Bord auf dem Berg Ararat strandete. Die entgegen den Eckpfeilern des modernen Weltbildes behaupten, dass alle Lebewesen, vom Dinosaurier bis zum Menschen, gleichzeitig vorhanden waren und die Erdkruste sich nicht in 4,6 Milliarden, sondern in höchstens 10000 Jahren aufgeschichtet hat. Die Urknalltheorie, Darwinismus und Evolution als Wurzel allen Übels bekämpfen und Hitler, Stalin und Marx als besonders schlimme Vertreter des Evolutionismus betrachten. Die per Gerichtsbeschluss in einigen amerikanischen Bundesstaaten die Kapitel über Evolution aus den Schulbüchern gänzlich verdrängten und zusammen mit über der Hälfte aller US-Amerikaner überzeugt sind, dass Gott die Erde in sechs Tagen schuf. "Es steht doch geschrieben", sagt McIntosh.

McIntosh aber sagt, er fühle, "dass da etwas ist". Und es ist eben jenes Gefühl, das ihn glauben lässt, die Arche sei nicht im flüssigen Lavastrom des immer wieder aktiven Vulkans verbrannt, sondern konserviert unter einer dicken Schicht aus vulkanischer Asche, über die sich möglicherweise auch Eisschichten gelegt haben. Er sagt, die Kreationisten würden ihre Recherchen in den nächsten Jahren gezielt mit Infrarot- und Radargeräten verstärken. "Wenn wir nichts finden, heißt das nicht, dass da nichts ist", sagt McIntosh ohne die Spur eines Zweifels. "Wenn sie sich nicht zeigt, hat Gott es eben nicht gewollt!"

Der texanische Kreationist und Schiffbauingenieur Allen Magnuson, der beruflich Ölplattformen entwirft, hat sich seit einigen Jahren physikalischen Berechnungen verschrieben, die die Existenz jenes Schiffes untermauern sollen, auf dem Noah, seine Familie und allerhand Getier der Sintflut trotzten. Magnuson sagt, allein auf Grund der in der Bibel angegebenen Größenverhältnisse könne man auf ein "absolut hochseetüchtiges" Gefährt schließen.

"Die Arche ist etwa vier Mal so groß wie das größte bisher bekannte reine Holzschiff, der 1884 erbaute Dreimaster ,Henry B. Hyde'", sagt Magnuson. Da die Abmessungen der Arche in etwa der von Frachtschiffen um 1950 entsprächen und insbesondere das für die hydrostatische Stabilität entscheidende Verhältnis von Breite zu Tiefe mit fünf zu drei nahezu identisch sei, schließt Magnuson auch auf eine ähnliche Belastbarkeit. "Von der Technologie her war die Arche ihrer Zeit etwa 4500 Jahre voraus."

Die Bibel erwähnt kein Antriebssystem der Arche, aber für Magnuson ist klar, dass ihre Manövrierbarkeit sowieso unwichtig war, da ihr einziges Ziel darin bestand, nicht unterzugehen. "Die Arche war so gebaut, dass sie völlig ohne menschliches Eingreifen schwimmen konnte." Laut Magnuson hatte sie einen stromlinienförmigen Rumpf mit ausgeformtem Bug und Heck, wobei der Bug vermutlich hochgezogen war und so gewissermaßen wie ein Segel wirkte, das das Treiben vor dem Wind ermöglichte. Bei einem zur Tieferlegung des Schwerpunktes mit Steinen beschwerten Rumpf, geschätzten 500 Tonnen Vieh und 16000 Tonnen Wasserverdrängung hätte sich die Arche so theoretisch auch gegen 35 Meter hohe "Monsterwellen" behaupten können. Und selbst wenn die Arche gekippt wäre, sagt Magnuson, habe sie sich durch ihre geniale Konstruktion selbst wieder aufrichten können. "Sie war praktisch unkenterbar."

In Santee, rund 30 Kilometer nordöstlich von San Diego, liegt das geistige Zentrum der amerikanischen Kreationisten. Hier, im 1872 gegründeten "Institut für die Erforschung der Schöpfung", das sich überwiegend aus Wissenschaftlern rekrutiert, die in früheren Zeiten der weltlichen Forschung frönten und die irgendwann, der verwirrenden Komplexität der Welt überdrüssig, nach einfacheren Antworten zu suchen begannen, steht mit runder Metallbrille, blauer Krawatte und weißem Hemd der Geologe Bill Hoesch und sagt: "Wenn es keine absolute Wahrheit gibt, gibt es auch keine Basis für die Wissenschaft."

Andreas Wenderoth, Jahrgang 1965, ist freier Journalist in Berlin. Auch nach seinem Besuch in San Diego bleiben für ihn Fragen offen. Woher etwa wusste der Hirte Noah so gut über Schiffbau Bescheid?



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