grau
grau
mare No. 39: SCHWEIN, WEIB UND GESANG

SCHWEIN, WEIB UND GESANG

Einige Historiker sehen den Ursprung der Schiffstaufe als Bitte an die Götter um Schutz für Boot und Mannschaft. In diesen Kontext passt die älteste Erwähnung einer maritimen Zeremonie aus dem Babylonien des dritten Jahrtausends vor Christus, die sich allerdings noch stark von den heutigen Taufritualen unterscheidet. Demnach befindet sich das Schiff längst zu Wasser, und einen Namen erhält es auch nicht. "Das Boot hatte ein Leck, ich hielt an. Suchte nach Rissen, machte aus, was fehlte: Drei Saris voll Pech goss ich über die Außenhaut. Und den Göttern bestimmte ich Ochsen zum Opfer."

Blut floss bei den Wikingern. Sie ließen Menschen auf dem Rutschbalken von Drachenbooten zerquetschen, wenn diese vom Stapel liefen. Später schmeckte man zur Sänftigung der Götter den Bug mit Tierblut. In der Türkei war es bis in die Neuzeit hinein Brauch, den Stapellaufschlitten mit Schafblut zu bestreichen. Schmerzlos dagegen geht die Taufe in Indien vonstatten: Man nimmt Kokosmilch. Der dänische Schiffseigner Lauritzen lässt sich immer etwas Besonderes einfallen: Das Polarschiff "Kista Van" bekam einen Eisbrocken gegen die Bordwand. Apfelsinensaft gab es für einen Kühlfrachter.

Die alten Hawaiianer hatten allerlei Zeremonien, um ein neues Kanu zu taufen. Neben Gesängen und Opfergaben spielte vor allem ein tierisches Ritual eine zentrale Rolle: Ein junges Schwein, ins Boot gesetzt und von seinen Fesseln befreit, musste vom Heck zum Bug zu laufen. Sprang es schließlich über Bord, war das neue Kanu geweiht und konnte in See stechen. Wehe dem Ferkel, wenn es sich stattdessen niederlegte: Es wurde prompt gebraten und den Göttern gereicht. Erst wenn diese das Opfer akzeptierten, war das Boot bereit zu seiner Jungfernfahrt.

Jahrhunderte währte eine teure britische Tradition: Ein Royal sprenkelte Wein aus einem Goldkelch über frisch gehobelte Planken. Dann schmiss er das kostbare Stück ins Meer. Ob ein Matrose das Ding noch schnappen konnte oder nicht, ein Verlust war es für die Krone in jedem Fall. Wiederverwenden konnte man den Kelch erst, als die Etikette auch Fangnetze zuließ. Als das Empire schließlich expandierte und massenhaft Schiffe fertigte, stieg man dann auf Flaschenwein um.

Warum Sekt? Die Historiker wissen es nicht. Bleiben die Vermutungen. Weil er so effektvoll von der Bordwand spritzt, ist eine. Eine andere lobt den besonderen Knall, der durch die Kohlensäure und die dickwandigen Flaschen entsteht. Letzterer Umstand kann allerdings auch hinderlich sein, wenn man die vielen Male zählt, in denen die Flasche unbeschädigt von der Bordwand prallte. Die Flensburger Schiffbau Gesellschaft und die Matthias-Thesen-Werft in Wismar schwören bei ihren Taufen daher auf "Fürst Metternich" - deren Flaschen gingen zuverlässig zu Bruch.

In Japan ist die Taufe zugleich die Geburt des Schiffes. Dann nämlich, wenn eine zwischen Land und Schiff gespannte Leine zerschnitten wird. Auch hier ist es eine Frau, die das Ritual vollzieht. Bekleidet mit einer alten japanischen Tracht, schwingt sie ein geweihtes Beil, um damit die "Nabelschnur" zu kappen. Läuft das Schiff von der Helling, platzt eine Papierkugel, aus der Tauben aufsteigen und Luftballons, Glück verheißende Symbole dazulande. Selbst in den modernen Werften Japans wird die traditionelle Taufe betrieben - samt einem Shinto-Priester, der zuvor den Stapellaufplatz mit geweihten Zweigen säubert.


Illustrationen von Heidi Kull


Textauszug

Einige Historiker sehen den Ursprung der Schiffstaufe als Bitte an die Götter um Schutz für Boot und Mannschaft. In diesen Kontext passt die älteste Erwähnung einer maritimen Zeremonie aus dem Babylonien des dritten Jahrtausends vor Christus, die sich allerdings noch stark von den heutigen Taufritualen unterscheidet. Demnach befindet sich das Schiff längst zu Wasser, und einen Namen erhält es auch nicht. "Das Boot hatte ein Leck, ich hielt an. Suchte nach Rissen, machte aus, was fehlte: Drei Saris voll Pech goss ich über die Außenhaut. Und den Göttern bestimmte ich Ochsen zum Opfer."

Blut floss bei den Wikingern. Sie ließen Menschen auf dem Rutschbalken von Drachenbooten zerquetschen, wenn diese vom Stapel liefen. Später schmeckte man zur Sänftigung der Götter den Bug mit Tierblut. In der Türkei war es bis in die Neuzeit hinein Brauch, den Stapellaufschlitten mit Schafblut zu bestreichen. Schmerzlos dagegen geht die Taufe in Indien vonstatten: Man nimmt Kokosmilch. Der dänische Schiffseigner Lauritzen lässt sich immer etwas Besonderes einfallen: Das Polarschiff "Kista Van" bekam einen Eisbrocken gegen die Bordwand. Apfelsinensaft gab es für einen Kühlfrachter.

Die alten Hawaiianer hatten allerlei Zeremonien, um ein neues Kanu zu taufen. Neben Gesängen und Opfergaben spielte vor allem ein tierisches Ritual eine zentrale Rolle: Ein junges Schwein, ins Boot gesetzt und von seinen Fesseln befreit, musste vom Heck zum Bug zu laufen. Sprang es schließlich über Bord, war das neue Kanu geweiht und konnte in See stechen. Wehe dem Ferkel, wenn es sich stattdessen niederlegte: Es wurde prompt gebraten und den Göttern gereicht. Erst wenn diese das Opfer akzeptierten, war das Boot bereit zu seiner Jungfernfahrt.

Jahrhunderte währte eine teure britische Tradition: Ein Royal sprenkelte Wein aus einem Goldkelch über frisch gehobelte Planken. Dann schmiss er das kostbare Stück ins Meer. Ob ein Matrose das Ding noch schnappen konnte oder nicht, ein Verlust war es für die Krone in jedem Fall. Wiederverwenden konnte man den Kelch erst, als die Etikette auch Fangnetze zuließ. Als das Empire schließlich expandierte und massenhaft Schiffe fertigte, stieg man dann auf Flaschenwein um.

Warum Sekt? Die Historiker wissen es nicht. Bleiben die Vermutungen. Weil er so effektvoll von der Bordwand spritzt, ist eine. Eine andere lobt den besonderen Knall, der durch die Kohlensäure und die dickwandigen Flaschen entsteht. Letzterer Umstand kann allerdings auch hinderlich sein, wenn man die vielen Male zählt, in denen die Flasche unbeschädigt von der Bordwand prallte. Die Flensburger Schiffbau Gesellschaft und die Matthias-Thesen-Werft in Wismar schwören bei ihren Taufen daher auf "Fürst Metternich" - deren Flaschen gingen zuverlässig zu Bruch.

In Japan ist die Taufe zugleich die Geburt des Schiffes. Dann nämlich, wenn eine zwischen Land und Schiff gespannte Leine zerschnitten wird. Auch hier ist es eine Frau, die das Ritual vollzieht. Bekleidet mit einer alten japanischen Tracht, schwingt sie ein geweihtes Beil, um damit die "Nabelschnur" zu kappen. Läuft das Schiff von der Helling, platzt eine Papierkugel, aus der Tauben aufsteigen und Luftballons, Glück verheißende Symbole dazulande. Selbst in den modernen Werften Japans wird die traditionelle Taufe betrieben - samt einem Shinto-Priester, der zuvor den Stapellaufplatz mit geweihten Zweigen säubert.





grau
 Inhalt mare No. 39
Pfeil Die Verbannten
Pfeil Ostseeperlen
Pfeil Lietzows Leben
Pfeil Lebenskünstler
 Schwerpunkt
PfeilDie Megawerft
PfeilAn den kleinen Schrauben drehen
PfeilDer Nachtfalter
PfeilStrandung am Ararat
PfeilSchiffe machen Geschichte
PfeilPorträt der jungen Königin
PfeilTradition und Zuckerguss
PfeilSchwein, Weib und Gesang
PfeilDie Materialschlacht
PfeilFórcola
  Titelbild
mare No. 39 bestellen
 Rubriken
Pfeil Kombüse
Pfeil Pitcairn
Pfeil Im Netz


Pfeil  Suche
Pfeil  Linktipps
Pfeil  Umfrage


Heft + mareTV DVD


grau
grau grau grau


grau grau grau