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Kombüse

KOMBÜSE: DAS PATENTREZEPT

Ein Hochseefischer strandet im Binnenland und erfindet die Bratwurst neu. Bei ihm kommt Seelachs in die Pelle

Text: Manfred Kriener
Fotos: Maurice Weiss

Textauszug

Lassen Sie sich durch die Äusserlichkeiten nicht abschrecken!" Welcher Gastronom hat die Traute, an die Pforte seines Restaurants diese Warnung zu hängen? Olaf Nestler, Wirt und Erfinder, hat Humor. Und Kampfgeist. Die Warntafel ist die Pointe eines schrulligen Restaurants, wie es in dieser Art wohl kein zweites gibt. In Magdeburg schon gar nicht, dort ist laut Nestler der "Angelhaken" ohnehin das einzige Fischrestaurant. Es wird von einem Mann betrieben, der mit immer neuen Einfällen um seine Existenz kämpft - leicht verbittert, aber mit dem Talent des intelligenten Underdogs.

Sein Restaurant ist eine ausgesucht schräge Mischung aus Seefahrtsmuseum, Aquarium und Puppenstube. Hier legt sich ein ausgestopfter Dornhai in die Kurve, dort kauert Hein Blöd auf dem Maschinentelegrafen, hinter dem Tresen glänzt eine originale Taucherhaube der US Navy, "mein wertvollstes Stück". Dazu eine ästhetisch freizügige Gemengelage aus Seesternen, Rumflaschen, Steuerrädern und Schiffslampen, aus Netzen, Tauen und Knoten, Rettungsringen, Paddeln und Pistolen. Den Tresen deckt ein afrikanisch inspiriertes Strohdach. Die Decke ist blau, die Wände sind gelb. Nestler trägt klassisches Blauweiß. Draußen im Garten ziert die Küstenlinie der Ostsee den Betonboden, Bodden für Bodden. Die Dekoration, sagt Nestler, soll den Gast beschäftigen, bis das Essen kommt - Lachstartar, verschiedene Fischfilets und: Fischbratwürste.

Diese Wurst, als Gebrauchsmuster Nummer 201 04 2428 vom Patentamt geschützt, ist die spektakulärste Erfindung von Olaf Nestler. Eigentlich ein Krisenprodukt der BSE-Hysterie, hat sie sich bis heute gehalten und ist zum Markenzeichen des Restaurants am Barleber See geworden. Im Sechserpack vakuumiert, versendet Nestler sie an Gastronomen und Privatleute. Da muss die Küche ganz schön rackern, um mit der alten Handkurbel einen halben Zentner Seelachsfarce in Schweinemitteldarm zu pressen. Wie eine feine Thüringer sieht die Wurst aus. Und sie schmeckt!

Olaf Nestler ist ein Mann, der immer wieder mit skurrilen Ideen überrascht. Die kulinarische Innovationsstrategie begann mit Tartar aus echtem Lachs ohne die signalrote Farbstofforgie. Anschließend erblickte die Fischbulette das Licht Magdeburgs. Vor zwei Jahren erschuf er die Fischbratwurst, die er demnächst auch "hot" mit einer Prise Chili anbieten will.

Das hört sich alles sehr lustig an und ist doch der nackte Überlebenskampf. Unterstützung und Starthilfe für den Existenzgründer? Fehlanzeige. Eigentlich ist der gebürtige Magdeburger ein "Heringsbändiger", also ein gelernter Hochseefischer.

Nach der Wende hängte er einen Container an seinen Trabant, fuhr übers Land, um "Impulsware" - Würste, Süßigkeiten, Zigaretten, die man aus spontanem Impuls heraus kauft - anzubieten. Schon damals träumte er von einem dunklen schottischen Pub. Am Ende wurde es ein deutsches Fischrestaurant. Das Haus hatte er vom Anglerverband übernommen. Inzwischen gehört es dem Bundesvermögensamt, weil die Angler keine Besitzurkunde fanden. Damit war auch Nestlers Deal geplatzt.

Jetzt hat ihn das Amt am Haken. Er sitzt von dessen Gnaden als Mieter in einem Restaurant, in dem er nichts verändern darf. So lässt die notwendige Sanierung auf sich warten: Risse im Boden, morsche Fensterkreuze. Daher das Schild mit den "abschreckenden Äußerlichkeiten" an der Eingangspforte.



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