Geschlechterdemokratie

ArbeitGesellschaftlicher WandelPolitikKulturOst und WestErinnerung
Für die Geschichte der westeuropäischen Demokratie ist zunächst die Trennung von öffentlichem und privatem Leben kennzeichnend. Der Ausschluss von Frauen aus der politischen Öffentlichkeit und die ideologische sowie rechtliche Abgrenzung der Familie im Sinne eines "privaten" Raumes bildeten ein stabiles Instrument zur Verhinderung demokratischer Verhältnisse zwischen den Geschlechtern. Trotzdem haben sich die Nationen Westeuropas in ihrer Entwicklung als "demokratisch" verstanden.

Auch in Deutschland haben Frauen seit dem 19. Jahrhundert gegen diese Form patriarchaler Herrschaft aufbegehrt: In der Familie, in der Öffentlichkeit, als Einzelne oder auch als Teil einer organisierten Frauenbewegung. Sie kämpften um die Anerkennung als politische Subjekte, für die Formulierung ihrer eigenen Interessen und für die Verwirklichung der Gleichheit von Frauen und Männern und somit im eigentlichen Wortsinn einer demokratischen Gesellschaft.

Durch ihre Lebenswege, ihre Konzepte und Visionen haben Frauen Zeugnis von der Geschichte Deutschlands seit 1945 abgelegt. Aufgrund ihrer persönlichen und kollektiven Erfahrungen im NS-Deutschland lag es nahe, dass sie im politischen Vakuum der Zusammenbruchgesellschaft nach 1945 den Versuch machten, die Ungleichheit der Geschlechterbeziehungen in allen Lebensbereichen abzubauen.

 

"Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß man heute weiter gehen muß als in Weimar und daß man den Frauen die Gleichberechtigung auf allen Gebieten geben muß."

Elisabeth Selbert,
SPD-Politikerin, 1949

In allen Biographien kommt dieser Wille in der Erinnerung an das Vergangene zum Ausdruck. Das Streben der Frauen nach Gleichstellung war und ist Motor des gesellschaftlichen Wandels in beiden deutschen Staaten und in der heutigen Bundesrepublik. Es führte zu einer anderen Politik, in der auch das so genannte Private öffentlich gemacht wird und in der die Grenzen zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen neu gezogen werden können. Frauen brachten eine eigene Kultur hervor, in der sie ihrem Anliegen in einer selbstgestalteten Gemeinschaft nachgehen. Die Tragweite dieser geschlechterdemokratischen Visionen wird sichtbar, wenn Frauen ein anderes Verständnis von Arbeit verlangen. Nicht zuletzt relativiert sich aus geschlechterdemokratischer Perspektive auch die Systemkonkurrenz zwischen Ost und West, die zu Zeiten des Kalten Krieges zementiert worden und bis heute nicht überwunden ist.

Die frauenspezifische Betrachtung der deutschen Nachkriegsgeschichte bildet somit die Grundlage für eine geschlechterdemokratische Zukunft.