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forschung 01/2006

Der Kommentar

Chefsache Innovation

Deutschland braucht den Austausch zwischen Wissenschaft und Wirtschaft ebenso wie einen Anwalt für die Grundlagenforschung – Eine Außenansicht

von Dr. Arend Oetker

Arend Oetker ist Präsident des Stifterverbandes
Dr. Arend Oetker

Dass Leistungsstärke und Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, Regionen und ganzen Volkswirtschaften unmittelbar von Forschung und Entwicklung abhängen, ist heute geradezu eine Binsenweisheit. Diesen Zusammenhang hat es schon immer gegeben; aber der Taktschlag des technologischen Wandels hat sich in den letzten Jahrzehnten stark beschleunigt. Die Innovationszyklen haben sich drastisch verkürzt. Das Verhältnis von Grundlagenforschung und angewandter Forschung hat sich verändert. Der Weg von der Idee zum Produkt ist kürzer geworden und zugleich verschlungener. Früher glaubte man an den geraden Pfad von der Erkenntnis zum Produkt. Der öffentlich bezahlte Wissenschaftler entdeckte etwas. Der im Unternehmen angestellte Entwickler machte daraus ein Produkt, das die Marketingabteilung bewarb, der Händler verkaufte und das dem Unternehmen Gewinn einbrachte.

Heute weiß man, dass der Innovationsprozess eine Zweibahnstraße ist, dass Wertschöpfung sich nur in einem wiederholenden Prozess mit vielfältigen Transferbeziehungen zwischen allen Beteiligen produktiv und zielführend vollzieht. Aus diesem Geist heraus wollen die Unternehmen der Wirtschaft durch den Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft 2006 einen besonderen Beitrag dazu leisten, dass Deutschland wieder ein innovationsfreudigeres Land wird.Der Stifterverband hat sich einen Arbeitsschwerpunkt unter dem Titel „Austauschprozesse zwischen Wissenschaft und Wirtschaft“ gegeben. So wird sich beispielsweise das „Villa Hügel-Gespräch“ im November 2006 mit Clusterstrategien und dem Management von Netzwerken zwischen den beiden Bereichen beschäftigen. Traditionsgemäß lädt der Stifterverband alle zwei Jahre im Spätherbst die Spitzen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Wissenschaftspolitik in die Villa Hügel nach Essen zur wissenschafts-, innovations- oder bildungspolitischen Grundsatzdebatte.

Der Stifterverband will dabei mithelfen, Barrieren zwischen Wirtschaft und Wissenschaft abzubauen, die es in Deutschland noch immer schwer machen, aus hervorragenden Ideen marktreife Innovationen zu schaffen. Nach dem Vorbild des Lambert Review in Großbritannien soll daher eine hochrangig besetzte Expertengruppe im Auftrag von Stifterverband und Deutscher Forschungsgemeinschaft das Gesamtsystem der Kooperationen zwischen öffentlich finanzierten Forschungseinrichtungen und der Wirtschaft in Deutschland untersuchen. Defizite sollen identifiziert, Empfehlungen zur Schaffung innovationsfreundlicher Rahmenbedingungen vorgelegt werden.

Der angesehene Innovationsforscher und langjährige Herausgeber der Financial Times, Richard Lambert, hatte im Auftrag des britischen Finanzministeriums 2003 einen viel beachteten Bericht über die Kooperation zwischen Wirtschaft und Wissenschaft in Großbritannien vorgelegt. Er kam dabei zu dem Schluss, dass es im Interesse einer gesteigerten Innovationsfähigkeit weniger darauf ankomme, die Menge der Universitäten zu steigern, als vielmehr die Nachfrage danach bei Unternehmen anzukurbeln. Sollte Ähnliches auch in Deutschland gelten, so gäbe es darauf letztlich nur eine Antwort: Innovation muss in den Unternehmen Chefsache sein. Denn nur wenn der Mann oder die Frau an der Spitze die Richtung vorgibt, kann sich bis in den letzten Winkel die Einsicht verbreiten, dass Zurückhaltung bei den Forschungsausgaben heute zu weniger Innovation morgen führt und womöglich zum Ruin der Firma übermorgen.

Was für Unternehmen gilt, gilt ebenso für die Politik. Auch dort muss Innovation Chefsache sein. Konsequent wäre die Bündelung der gesamten Forschungs- und Innovationspolitik in einem schlagkräftigen Bundesinnovationsministerium, das die verstreuten Kompetenzen auf sich vereint, die bislang auf das Bundesforschungs-, das Wirtschafts- und das Umweltministerium, ja sogar auf das Auswärtige Amt und den Bundeskulturbeauftragten verteilt sind. Sicher: Den Zuschnitt von Ministerien zu ändern, ist ein haariges Geschäft. Daher hat der Stifterverband unlängst vorgeschlagen, die großen Leitlinien der Forschungs- und Innovationspolitik auf Kabinettsebene zu strukturieren, zu koordinieren und zusammenzuführen. Mit der Einrichtung eines Innovationsrates zur Beratung der Bundeskanzlerin soll dieser Vorschlag nun für die Langzeitperspektiven verwirklicht werden.

Doch auch das öffentlich finanzierte Wissenschaftssystem steht vor neuen Herausforderungen. In besonderer Dringlichkeit stellt sich gegenwärtig die Frage nach der künftigen Strategie derjenigen Organisation, die sich der Förderung der Forschung nach wissenschaftsimmanenten Kriterien verschrieben hat – der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Denn als Sachwalter der 1,9 Milliarden Euro schweren Exzellenzinitiative ist die Bedeutung der DFG im Wissenschaftssystem stark gewachsen – nicht allein durch die größer gewordenen Summen, sondern vor allem durch die neuen forschungsstrukturellen und -politischen Implikationen ihrer Bewilligungen. Die DFG wird ihre Antworten finden.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft sollte die strategische Herausforderung annehmen und ihre diesbezüglichen Programme ausbauen, zugleich aber auch wie bisher der unabhängige und unbestechliche Anwalt der Grundlagenforschung sein. Denn so dringlich der Wunsch aller ist, dass wieder mehr Innovationen aus Deutschland kommen, so wichtig ist es, eine Lanze für die Grundlagenforschung zu brechen. Gerade die Politikferne der DFG ist ihr wichtigster Pluspunkt. Sie wird nie in den Verdacht geraten, kurzfristigen wissenschaftspolitischen Moden zu folgen. Erstrebenswert wäre dennoch, dass die DFG systematischer als bisher in ihren Programmen den Transferaspekt stärkt, um die Leistungsstärke des deutschen Innovationssystems zu heben. So könnte die DFG unter anderem in den Forschungszentren und den Projekten der Exzellenzinitiative auf die Beteiligung der Wirtschaft mehr Wert legen oder gar ein Clusterprogramm auflegen, bei dem die Beteiligung der forschenden Wirtschaft zur Bedingung gemacht wird. Auf diese Weise würde die DFG einen wichtigen Beitrag zur Vernetzung von Wissenschaft und Unternehmen leisten. Wirtschaft und Wissenschaftspolitik haben ein berechtigtes Interesse daran, dass das in der öffentlichen Forschungsförderung eingesetzte Steuergeld ökonomische Früchte trägt. Es geht längst nicht mehr nur darum, mehr Geld in Wissen zu investieren, wir müssen uns verstärkt darum kümmern, wie das Wissen wieder in Geld verwandelt wird.

Doch dieser Prozess verlangt bisweilen einen langen Atem. Die Entwicklung des Lasers bietet dafür ein überzeugendes Beispiel. So ist der Laser eine der wichtigsten Erfindungen des 20. Jahrhunderts, aber zugleich eine, bei der zwischen den theoretischen Grundlagen und dem Bau des ersten Gerätes insgesamt 43 Jahre liegen. Dieser Zeitraum reicht weit über jede nur denkbare Form einer koordinierten Innovationsplanung hinaus. Ich ziehe daraus den Schluss: Die wirklich großen Innovationen lassen sich überhaupt nicht planen, der Staat kann allenfalls innovationsfreundliche Rahmenbedingungen schaffen. Deshalb müssen Staat und Wirtschaft der Versuchung widerstehen, der Grundlagenforschung inhaltliche Vorgaben zu machen. Die Wissenschaft dient der Allgemeinheit am besten, wenn sie nach Spitzenleistungen strebt. Sie muss das nach ihren eigenen Regeln tun, zum Beispiel durch die Kontrolle der Fachkollegen, das so genannte Peer Review-Verfahren. Denn wenn sich nicht vorhersehen lässt, welche wissenschaftliche Entdeckung auf verschlungenen Pfaden zu einer Innovation wird und sich somit das mutmaßliche Innovationspotenzial nicht feststellen lässt, dann kann es auch nicht zur Verteilung von Geld herangezogen werden. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft kann daher der erste Anwalt der Grundlagenforschung sein.

Trotzdem sollten Grundlagenforscher ermutigt werden, über Nutzanwendungen ihrer Arbeit nachzudenken – und zwar nicht nur durch Auszeichnungen, öffentliche Anerkennung und andere immaterielle Ehren, sondern auch durch finanzielle Anreize. Es müssen auch systematischer und nachhaltiger als bisher Gelegenheiten geschaffen werden, bei denen Forscher und Unternehmer zusammenkommen. Denn nur wenn sich die kreativen Ideen der Forscher mit den Bedürfnissen der „Kunden“, den Unternehmern, verbinden, entsteht ein Innovationsprozess. Wie sich die Begegnung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft effektiv organisieren lässt, zeigen beispielhaft die nordamerikanischen Spitzenuniversitäten. Dort ist der Campus der Ort des Austauschs.

Dr. Arend Oetker

Arend Oetker ist Präsident des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft, Unternehmer und Mitglied im Präsidium der DFG.


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