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Schluss

Das Parlament hat das Postulat Vaudroz angenommen und damit einen Schlussstrich unter die Bemühungen der armenischen Diaspora um eine politische Anerkennung und Verurteilung des Genozids von 1915 gezogen. Nach einem fast zehnjährigen politischen Tauziehen war das auch bitter nötig. Die oft gefürchtete Verschlechterung der türkisch-schweizerischen Beziehungen ist so nicht eingetreten.

Die vorliegende Arbeit ging von der Fragestellung aus, welche Faktoren maßgeblich am politischen Prozess beteiligt waren, im Verlaufe dessen nach fast einem Jahrhundert ein nahezu vergessener Genozid wieder auf den Schreibtischen der Politiker landete und, nach einigen Fehlschlägen, sogar durch das Schweizer Parlament als solcher verurteilt wurde. Soll über die Faktoren gesprochen werden, so können hier vor allem drei wesentliche Bedingungen betont werden, die erfüllt sein müssen, damit ein solcher Prozess überhaupt ins Rollen kommt. Zunächst braucht es jemanden, dem eine Anerkennung aus irgendwelchen Gründen am Herzen liegt. Wie wir gesehen haben, war dies in der Schweiz erst seit 1992 mit der Gründung der GSA der Fall. Sie hat in der Folge mit Überzeugungsarbeit weitere Organisationen dazu bewegt, den politischen Kampf zu unterstützen. Zweitens braucht es eine klare Fakten- und Rechtslage. Wie sich im zweiten Teil dieser Arbeit gezeigt hat, gab es in dieser Hinsicht in den letzten Jahrzehnten einen starken Wandel. Wenngleich viele Detailfragen noch immer nicht unumstritten sind, so hat hier doch eine klare Verlagerung des Forschungsschwergewichts und dadurch auch der Ergebnisse stattgefunden. Diese dürfte wohl auch maßgeblich dafür verantwortlich sein, dass immer mehr Parteien und Organisationen – als letzte und offenbar entscheidende auch die christlichen Parteien – sich für eine Anerkennung entschieden. Dies zeigt sich vor allem während den letzten zehn Jahren, in denen der Völkermord an den Armeniern überhaupt erst zum Politikum in der Schweiz geworden ist. Drittens braucht es eine kluge und geschickte Lobbyarbeit. Auch diese ist im Laufe der Jahre in zunehmendem Masse geleistet worden vor allem auch angesichts der diplomatischen Gegenbemühungen seitens der Türkei.

Die politische Anerkennung hat für die Betroffenen zweifellos einen hohen symbolischen Wert. Man muss sich jedoch davor hüten, die Bedeutung dieses Entscheids zu überschätzen. Um ihn richtig einordnen zu können, muss man sich zuerst über die Konsequenzen der Anerkennung klar werden. Zunächst sind diese gar nicht so groß. Gewiss, Gerichtsurteile wie das von Bern-Laupen, bei dem Völkermordleugner trotz klarer Faktenlage freigesprochen wurden, dürften in Zukunft anders ausfallen, Bücher, Schulbücher oder Presseartikel mit klar negationistischem Inhalt dürften es künftig schwieriger haben, in der Schweiz veröffentlich zu werden. Es ist anzunehmen, dass sich dadurch der beinahe vergessene Genozid wieder verstärkt in den Schweizer Köpfen verankern wird.

Auf die gegenwärtigen Beziehungen zwischen der Türkei und seinem kleinen Nachbarn dürfte der Einfluss der Schweizer Entscheidung gering sein. Hier ist die Schweiz wohl nicht mehr als ein kleines Steinchen. Es ist jedoch anzunehmen, dass gerade die Einschätzung der für ihre Unabhängigkeit und Neutralität geschätzte Schweiz moralischen Wert haben wird, wenn es in weiteren Staaten um die Frage der Anerkennung geht. Ebenfalls muss bemerkt werden, dass im Rahmen der Anerkennungsdebatte in der Schweiz hervorragende wissenschaftliche Arbeit geleistet worden ist, die eine große Ausstrahlungskraft auf den gesamten deutschsprachigen Raum, in begrenzterem Rahmen aber wohl auch auf die internationale Wissenschaftsgemeinde haben dürfte. Diese dürfte insbesondere für die Debatte in Deutschland von Bedeutung sein, wo man von einer Anerkennung noch weit entfernt ist. Dies wohl nicht zuletzt auch wegen der deutschen Mitschuld oder zumindest dem deutschen Mitwissen.

Das Fernziel, dass die Türkei eines Tages über ihren eigenen Schatten springt und sich bei den Armeniern entschuldigt, ist mit dem Schweizer Beitrag noch nicht erreicht. Die parlamentarische Anerkennung ist aber ein Schritt in die richtige Richtung, wenngleich es hier auch im Hinblick auf andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit noch viel zu tun gibt.

 

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