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Drucken25.06.2001   14:53 Uhr

Carla Del Ponte

Die stählerne Signora

Sie hat Mafiosi, Drogenbarone und Terroristen gejagt und sich mit Diktator Milosevic ein Duell auf Distanz geliefert - offenbar hat sie es jetzt gewonnen.
Stefan Ulrich

 
del_ponte_dpa

Carla Del Ponte
Foto: dpa

 

(SZ vom 25. Juni 2001) - Carla Del Ponte kann ihn täglich hängen sehen. Sie braucht nur den Blick von den Akten zu heben, um dem großen Gegner in die Augen zu schauen.

Dort drüben an der Wand ihres Eckbüros im zweiten Stock des Haager Jugoslawien-Tribunals prangt sein Bild auf einem Fahndungsplakat.

Ein bisschen zerzaust sieht er aus, der gestürzte Herrscher von Belgrad, so als habe ihn Del Ponte gerade aus dem Bett holen lassen und zum Verhör zitiert.

So weit reicht ihre Macht bislang nicht. Noch sitzt Slobodan Milosevic im Zentralgefängnis von Belgrad, aber in Sicherheit ist er dort nicht mehr. Nach der Verabschiedung eines Dekrets zur Zusammenarbeit Belgrads mit dem UN-Tribunal in Den Haag steht die Auslieferung des ehemaligen Staatschefs Slobodan Milosevic offenbar bald bevor.

In 15 bis 20 Tagen werde er an das Kriegsverbrechertribunal überstellt werden, hat ja der serbische Regierungschef Zoran Djindjic am Samstag gesagt.

Del Ponte hatte die Entwicklung längst vorausgesehen, „es ist keine Frage, dass er kommen wird“, hatte sie immer gesagt, hatte die Hoffnung in eine Art Befehl verkleidet: Spätestens am Jahresende werde sie ihn haben. Jetzt wird wohl alles schneller gehen.

Löwin auf dem Sprung

Die kleine Schweizerin mit dem Tessiner Akzent hat diese Fahndung zum Duell stilisiert, zu ihrem Duell.Wenn sie davon spricht, blitzen ihre dunkelbraunen Augen, es spannt sich ihr Körper, und sie wirkt mit ihrem sandbraunen Kostüm und den hellblond gefärbten Haaren beinahe wie eine Löwin auf dem Sprung.



» Ich lauere wie eine Katze vor dem Mauseloch «

Ihr ganzes Berufsleben lang war sie auf der Fährte von Schwerverbrechern. Das prägt. „Ich lauere wie eine Katze vor einem Mauseloch“, hat sie vor kurzem gesagt. „Einmal kommen sie heraus – und dann schlage ich zu. “

Del Ponte ist vor knapp zwei Jahren angetreten als Anklagechefin der UN-Tribunale für Jugoslawien in Den Haag und für Ruanda in Arusha. Seitdem ist sie auf der Jagd nach Milosevic. Sie nimmt diese Herausforderung wie jede andere in ihrem Leben: frontal.

Der Ex-Diktator ist der höchstrangige Angeklagte der Völkergemeinschaft, und Carla Del Ponte wird daran gemessen, dass sie ihn vor Gericht bringt.Sie weiß, dass nicht nur ihr Lebenswerk als Staatsanwältin damit steht und fällt, sondern auch der Erfolg des Gerichts, dieses Prototyps eines künftigen Völkertribunals.

Das Schicksal der Weltjustiz, es liegt in den Händen einer 54 Jahre alten Wirtstochter aus dem hinteren Maggiatal. Anderen wäre diese Verantwortung eine Last, ihr ist sie Lust.

Die Welt erobert

Del Ponte liebt es, im Brennpunkt zu stehen, und vielleicht liegt das ja daran, dass es ihr das Gefühl gibt, es geschafft zu haben. Sie hat die Horizonte der Schweizer Bergwelt hinter sich gelassen und die Welt erobert. Auch wenn diese Welt von Völkermördern und Folterknechten bewohnt ist.

Eine gefährliche Welt, auch für Carla Del Ponte. „Jeden Monat bekommen wir Warnungen vom amerikanischen FBI“, erzählt einer ihrer Vertrauten. Italienische und russische Mafiosi hätten noch eine Rechnung mit ihr offen, aus ihrer Zeit als Staatsanwältin in der Schweiz.

Und in Serbien gebe es genügend Spinner, die gerne in die Nationalgeschichte eingehen würden mit einem Mord an Milosevics größter Feindin.

Ihr martialisches Auftreten mit Leibwächtern, rasenden Limousinen oder Hubschraubern sei daher keine Show, wie ihr oft vorgeworfen wird, sondern bittere Notwendigkeit.

Notwendig ist es wohl auch, dass das Jugoslawien-Tribunal, ein beigebrauner Backsteinbau gegenüber dem Den Haager Kongresszentrum, gesichert ist wie Fort Knox.

Programmiertes Leben

Wer zu Carla Del Ponte vordringen will, der muss unter den Augen der Videokameras hohe Eisenzäune, Sicherheitsschleusen und jede Menge bewaffnetes Wachpersonal passieren.

Und wenn die Chefermittlerin ihrerseits heraus will aus ihrem Bau, stehen schon zwei gepanzerte, schwarze Limousinen vor dem Ausgang, in T-Formation und mit laufendem Motor.

Haben Sie Angst, Frau Del Ponte? – „Nein. Ich habe keine Angst. Früher hatte ich sie. Doch mit dem Alter kommt ein gewisser Fatalismus. Wenn es passieren soll – dann Amen. Und wenn es nicht passiert – umso besser.“

Lästig sei nur, dass sie sich nie frei bewegen könne. „Jeden Tag muss ich programmieren. Freitagabend fragt mich die Polizei: ‘Was machen Sie übers Wochenende? Stellen Sie uns einen genauen Plan auf.’ Das ist nicht so gemütlich.“



» Ich bin das Symbol für den Kampf gegen das Verbrechen und dafür, dass Gerechtigkeit geschaffen wird. «

Dabei ist die Vorsorge nach ihren Worten keineswegs übertrieben. „Ich bin das Symbol im Kampf gegen das Verbrechen und dafür, dass Gerechtigkeit geschaffen wird. Und die Feinde denken sich: Dieses Symbol muss man beseitigen.“

Wenn Milosevic jetzt nach Den Haag kommt, wird es noch gefährlicher? Del Ponte lacht: „Das weiß ich nicht. Jedenfalls wird es erfreulicher.“ Dann kann sie endlich den Hauptverantwortlichen für die Balkangräuel vor Gericht stellen.

Mit dem Grauen umzugehen hat die Juristin seit langem gelernt. „Man muss abschalten. Denn wenn Sie emotional involviert sind, können Sie nicht mehr gut schlafen und arbeiten. Dann haben Sie ein Problem.“

Doch was sie wirklich antreibt, sich tagein, tagaus mit Blutbädern und Leichenbergen zu beschäftigen, weiß sie wohl selbst nicht. „Das sind schwierige Fragen“, sagt sie mit rauchiger Stimme und lehnt sich im Sessel zurück. „Und ich habe zu wenig Zeit für philosophische Erwägungen.“

Dann nimmt sie sich doch eine halbe Minute, kneift die Augenbrauen zusammen, sodass zwei tiefe Furchen entstehen, und blickt ins Imaginäre: „Also – am Anfang da war der Glaube an die Gerechtigkeit, an die Justiz.“

Am Anfang, da sind vor allem drei Brüder, die es Carla Del Ponte nicht leicht machten, zu ihrem Recht zu kommen.

Und da ist das karge Bergdorf Bignasco rund 30 Kilometer südlich des St. Gotthards, eingekeilt zwischen Granitwänden, und das Ristorante Della Posta, in dem ihr Vater arbeitet.



» Ich war eine schlechte Verteidigerin «

Es folgen Jahre im strengen Mädcheninternat Ingenbohl. Danach will sie raus, studieren. Der Vater widerspricht. Carla setzt sich durch. Sie wählt Jura, wird Strafverteidigerin und merkt bald, dass das eine Strafe für sie ist. „Ich war eine schlechte Verteidigerin“, sagt sie heute.

„Ich fand es unmöglich, jemanden zu vertreten, aus dessen Akten hervorging, dass er schuldig war. Da bin ich so schnell wie möglich auf die richtige Seite gewechselt.“

Die richtige Seite – für Carla Del Ponte gibt es da keinen Zweifel: Es ist die Seite der Ankläger und die der Opfer. „Denn ich spüre, dass dort das Leiden ist.“

Wenn sie heute auf dem Balkan oder in Ruanda mit den Angehörigen der Opfer spreche, wenn sie ihren Hunger nach Gerechtigkeit spüre, der stärker sei als der Hunger nach Brot, dann wisse sie, dass sie sich richtig entschieden habe.

Damals wurde sie Untersuchungsrichterin, später Staatsanwältin in Lugano. Dort entdeckte sie ihr Faible fürs große Verbrechen. Korruption, Geldwäsche, Drogen, Waffenhandel, Mafia. Es sind erregende, bewegte Jahre für die Porschefahrerin mit Rennlizenz.

Leitfigur Falcone

Die italienischsprachige Schweizerin arbeitet eng mit Italiens jungen Justizheroen zusammen. Sie hilft dem Mailänder Richter Antonio Di Pietro bei seinen Ermittlungen gegen den heutigen italienischen Premierminister Silvio Berlusconi, und sie unterstützt Giovanni Falcone gegen die sizilianische Cosa Nostra.

Falcone wird ihre Leitfigur: ein strahlender Held im Kampf gegen die Mächte der Unterwelt. Gegen übermächtige Mächte. 1989 entgeht Del Ponte knapp einem Sprengstoffanschlag, als sie sich mit Falcone bei Palermo treffen will.

Drei Jahre später wird Falcone ermordet. Die Schweizer Staatsanwältin beschließt durchzuhalten, nun erst recht. „Wer kein dickes Fell hat, sollte sich einen anderen Beruf suchen.“

Ein Schweizer Mythos ist geboren, und Carla Del Ponte müht sich, ihn zu nähren. Eifrig wirkt sie am Bild der unerschrockenen Frontfrau im Kampf gegen das Verbrechen. Zwei Ehen fallen ihrer Berufung zum Opfer und jede Freiheit im Privatleben.

Die Staatsanwältin kommt auf die Todesliste der Mafia, wird rund um die Uhr bewacht. Denn sie hat die organisierten Verbrecher attackiert, wo sie verwundbar sind: beim Geld.

Als eine der ersten mischt sie den Finanzplatz Schweiz auf der Jagd nach den Milliarden der Mafia auf. Mit ihren ragazzi, jungen Kriminalbeamten, stürmt sie Banken, Büros und Redaktionsstuben auf der Suche nach belastenden Unterlagen.

Sie ist die Frau, um das lädierte Image der Schweiz im Ausland zu verbessern. 1994 wird sie Bundesanwältin in Bern und damit höchste Ermittlerin des Landes.



» Ich nehme auf niemanden Rücksicht «

Nun kann sie sich noch ungehemmter mit allem anlegen, was Rang und Namen hat: mit Russenmafia, kolumbianischen Drogenkartellen, dem Top- Terroristen Carlos und sogar mit den Schweizer Banken. „Non guardo in faccia nessuno“, sagt sie: „Ich nehme auf niemanden Rücksicht.“ Und sie weiß: „Nicht nur die Mafia mag mich nicht.“

Wer so viel austeilt, muss auch einstecken. Bald hat die Bundesanwältin in der Schweiz viele gegen sich aufgebracht. Die Medien halten sie für eine Frau mit dem Drang zum Hüftschuß, die Kollegen aus der Justiz kritisieren den Wirbel, den sie mit ihren Aktionen verursacht.


Kern aller Vorwürfe: Del Ponte sei eitel, aktionistisch, brutal. Sie handle unüberlegt, manchmal auch gesetzeswidrig.

Nicht nur die Verbrechersyndikate in ihrer Heimat werden aufgeatmet haben, als die Bundesanwältin 1999 zur UN-Chefanklägerin erkoren wurde.

In den Schweizer Medien wurde wild über die Hintergründe spekuliert. So vermutete der Tagesanzeiger, die Amerikaner, denen eine schlagkräftige Weltjustiz suspekt sei, hätten Del Ponte auserwählt, weil sie wegen ihrer Geltungssucht leicht manipulierbar sei.

Tatsächlich dürften andere Gründe den Ausschlag gegeben haben: Nach dem Kosovo-Krieg wurde eine neutrale Expertin für den heiklen Job in Den Haag gesucht, die für Amerikaner, Russen und Chinesen gleichermaßen akzeptabel war. Da kam die Schweizerin gerade recht.

Gelegentlich wie Rambo

Doch Skepsis blieb: Das Jugoslawien-Tribunal operiert im politischen Minenfeld. Wie würde sich da eine Frau als Chefanklägerin machen, die Rambo-Auftritte liebt und betont, Politik interessiere sie nicht, ihr gehe es nur um Gerechtigkeit?

Eine Bilanz will noch keiner ziehen, weder unter ihren Mitarbeitern noch in der internationalen Expertenszene. Hierfür sei es noch zu früh.

Unisono aber hört man zweierlei: Die Frau sei schwierig, launisch und nicht selten arrogant. „Die ist so was von wetterwendisch“, sagt ein Beamter des Tribunals, der nicht beim Namen genannt werden will – die Sprachregelungen des UN-Gerichts sind strikt.

Andererseits werden ihr ein eiserner Wille und große Dynamik bescheinigt. „Leader quality“ habe sie, heißt es beim Gericht. „Sie sagt, wo es lang geht, und das brauchen wir hier.“

Druck machen

Vielleicht ist ihre dreist-forsche Art, die in der Schweiz so kritisiert wurde, in Den Haag eine Tugend.

Denn hier gibt es keine Polizei, die die Befehle der Justiz vollstrecken könnte. Die Ermittler sind auf die Hilfe der Staaten angewiesen, und da muss jemand Druck machen, damit überhaupt etwas vorwärts geht.

Und Druck machen kann Carla Del Ponte. Sie spart nicht mit Kritik an den Westmächten. Vor allem über Franzosen und Amerikaner ist sie erbost, weil die in Bosnien mit der Festnahme von Kriegsverbrechern zaudern.

Gerechtigkeitssinn oder Geltungssucht?

Den Einwand, Hauptschuldige wie die bosnischen Serbenführer Radovan Karadzic und Ratko Mladic seien nicht zu finden, lässt Del Ponte nicht gelten. Wenn man ihr einen Elitetrupp und freie Hand gäbe, würde sie die beiden binnen Monaten schnappen.

Was treibt sie also an, die stählerne Signora der Weltjustiz? Ist es ihr Gerechtigkeitssinn oder doch eher Geltungssucht? Womöglich hat diese Frau auch einfach Spaß daran, Massenmörder zu jagen.

Und womöglich können das, vereinfacht gesagt, allenfalls Großwildjäger verstehen. Carla Del Ponte blickt wieder ins Imaginäre, dann trommelt sie mit den Zeigefingern auf die Tischkante: „Die Beweggründe – also am Anfang ist es der Glaube an Gerechtigkeit. Und dann gefällt dir diese Arbeit. Man macht etwas mit Freude. Man hat große Freude.“

Wie groß wird das Vergnügen erst sein, wenn Slobodan Milosevic nach Den Haag kommt. Noch ist er nicht da.

Del Pontes Sprecherin sagte am Samstag, man messe – wie bisher – alle Zusagen für Zusammenarbeit an Taten, und es klang noch etwas vorsichtig.

Sie sind skeptisch, haben schon zu viel erlebt in Den Haag. Aber sie sind auch voller Hoffnung darauf, dass Del Ponte das Fahndungsplakat bald abhängen kann. Dann ist der Wettlauf mit Milosevic vorbei, und die Arbeit kann richtig beginnen.

Ihre Karriere ist für Carla Del Ponte – hier bei einem Termin mit Außenminister Fischer – ein Beweis, dass sie es geschafft hat: den Aufstieg aus der Schweizer Provinz in die große Welt. Auch wenn es eine Welt von Völkermördern und Folterknechten ist.



Den Haag   Der Prozess gegen Milosevic
Kriegsverbrechertribunal   Milosevic bleibt stur
Anhörung   Was Milosevic sagen wollte
Hintergrund   Das Haager Tribunal
Carla Del Ponte   Die stählerne Signora
Im Profil: Richard May   Britischer Richter des Slobodan Milosevic
Wortlaut   Auszüge aus der Anklageschrift
Chronologie   Aufstieg und Fall Milosevics
Analysen aus der SZ   Milosevic, die Auslieferung und das Haager Tribunal
Slobodan Milosevic   Der Henker und sein Richter
 
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