Fragen des Tages

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Von der Welt verlassen

Vertreter aus 180 Staaten verhandeln ab heute in Bangkok über ein Kyoto-Nachfolgeabkommen. Dabei wird es auch um Klimaflüchtlinge gehen. Wie viele Menschen verlieren durch die Erderwärmung ihren Lebensraum?
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Immer wenn es darum geht, Regierungen oder die Wirtschaft von mehr Klimaschutz zu überzeugen, müssen die Klimaflüchtlinge herhalten – als Horrorvision. Zuletzt warnte der EU-Außenbeauftragte Javier Solana beim EU-Gipfel Mitte März vor „Millionen von Klimaflüchtlingen“. Die Rede ist dann von zahllosen Afrikanern, die Europa stürmen könnten, weil sie wegen zunehmender Dürren, heftiger Orkane oder wegen des steigenden Meeresspiegels die Heimat verlassen müssen. Weltweit rechnen Experten mit bis zu 150 Millionen Klimaflüchtlingen bis ins Jahr 2050 – obwohl noch keiner genau weiß, was überhaupt unter dem Begriff verstanden wird.

Klar ist nur: Die Welt wird wärmer, und das hat Folgen, zum Beispiel den Anstieg des Meeresspiegels. Betroffen davon sind als Erste die kleinen Staaten im Pazifik, im Indischen Ozean und der Karibik. In den 22 Inselstaaten des Pazifiks leben etwa sieben Millionen Menschen. Es sei absehbar, dass Tuvalu, Kiribat oder selbst die Malediven schon bei einem globalen Temperaturanstieg von zwei Grad im Vergleich zum Beginn der Industrialisierung wenig Überlebenschancen als Staaten hätten, schreiben Cord Jakobeit und Chris Methmann von der Universität Hamburg in einer neuen Studie über Klimaflüchtlinge für die Umweltorganisation Greenpeace. Ihr Territorium liegt kaum einen Meter über dem Meeresspiegel. Und die Vorhersagen des Weltklimarats (IPCC) bewegen sich bei bis zu knapp unter einem Meter bis 2050 und damit am unteren Rand der Berechnungen, wie der Klimaforscher Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) feststellt.

In der Greenpeace-Studie weisen die Autoren darauf hin, dass es für die kleinen Inselstaaten kaum Anpassungsmöglichkeiten gebe. So wird das Beispiel der Malediven zitiert, wo um die Hauptstadt Male ein Damm von drei Meter Höhe errichtet wurde. Doch dieser Damm kostete 63 Millionen Dollar, der Bau dauerte 14 Jahre und er wurde noch dazu von der japanischen Regierung bezahlt. Ein realistisches Anpassungsszenario ist das nicht, weshalb sich auf der bevölkerungsreichsten Insel Kandholhudhoo bereits 60 Prozent der Bevölkerung für eine freiwillige Evakuierung gemeldet haben. Die Regierung Tuvalus kämpft seit dem Jahr 2000 darum, dass ihre rund 11 000 Einwohner irgendwo Asyl finden, wenn die Inseln endgültig unbewohnbar sein werden. Der Versuch, für alle zeitgleich in Australien und Neuseeland Asyl zu beantragen, misslang damals. Tatsächlich nimmt Neuseeland jedes Jahr 75 Bewohner kleiner Pazifikinseln als Arbeitsmigranten auf, wenn sie nicht älter als 49 Jahre alt sind, eine Arbeitsstelle in Aussicht und ausreichende Englischkenntnisse haben. Aber als Klimaflüchtlinge will Neuseeland diese Einwanderer nicht verstanden wissen – wohl auch aus Angst vor der Verantwortung.

Das Beispiel der kleinen Inselstaaten zeigt, wie schwer das Problem zu lösen sein wird, obwohl es hier nur um eine relativ kleine Zahl von Betroffenen geht. Klimaflüchtlinge haben bisher weder individuell noch als Gruppe irgendeinen Schutzstatus. Niemand fühlt sich für sie verantwortlich, obwohl die Verantwortung ziemlich klar zugeordnet werden kann: Am Elend Tuvalus oder der Malediven sind die Industriestaaten mit ihrem seit rund 200 Jahren andauernden hohen Ausstoß von Treibhausgasen schuld. Nur gibt es bisher keine Übereinkunft, die aus dieser moralischen Schuld irgendwelche Konsequenzen für die Klimaflüchtlinge hätte.

Eben deshalb wird intensiv über eine Definition von Klimaflüchtlingen gestritten. Denn ohne eine für alle akzeptable Definition wird es für die betroffenen Menschen auch im neuen Klimaabkommen, das 2012 das Kyoto-Protokoll ablösen soll, keine Hilfe geben. Dabei ist es schwer, die genauen Gründe für das Verlassen der Heimat abzugrenzen, vor allem ist es schwierig, Umweltgründe von wirtschaftlichen Gründen zu unterscheiden – meistens werden beide Faktoren eine Rolle spielen. Die UN-Universität hat vorgeschlagen, drei Kategorien von Migranten voneinander abzugrenzen: Umweltmotivierte Auswanderer, wegen der Umwelt zur Wanderung gezwungene Menschen und Umweltflüchtlinge. Darin sehen Frank Biermann und Ingrid Boas von der Freien Universität Amsterdam allerdings keinen besonderen Nutzen. Sie haben in einem Papier mit dem Titel „Preparing for a Warmer World“ folgende Definition für Klimaflüchtlinge vorgeschlagen: Menschen, die ihre Heimat unmittelbar oder in naher Zukunft verlassen, weil ihre natürliche Umwelt sich plötzlich oder graduell auf Grund dreier Einflüsse des Klimawandels verändert – Anstieg des Meeresspiegels, extreme Wetterereignisse sowie Dürre und Wasserknappheit.

Eine ähnliche Definition hat auch der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung zu globalen Umweltveränderungen in einem Gutachten vorgeschlagen. Bisher erfreut sich dieser Vorschlag allerdings noch keiner ausreichenden Popularität, um es auch nur auf die Verhandlungstagesordnung geschafft zu haben. Dabei wäre es längst an der Zeit, sich auf die Klimaflüchtlinge vorzubereiten.

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 31.03.2008)

Kommentare [ 1 ] Kommentar hinzufügen »

Comment
von | 14.04.2008 23:45:38 Uhr
Und Ich sage Euch:
Es werden die Wüsten grünen und fruchtbar sein.


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