Schule

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Bildungsmisere

Das Geheimnis guter Schulen

Was Autoren zweier neuer Bücher zur Bildungsmisere vorschlagen – und was sie dabei vergessen.
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Seit der Veröffentlichung der ersten Pisa-Studie haben Bildung und Bildungspolitik Hochkonjunktur. Das freut alle, die sich mit diesem Thema lange beschäftigt haben und viele Jahre um öffentliche Aufmerksamkeit kämpfen mussten. Die Schwachstellen und Defizite, die durch die Schulstudien aufgedeckt wurden, haben Eltern und Lehrkräfte verunsichert und das Misstrauen vor allem der Eltern in die staatlichen Schulen erhöht. In diesen Konjunkturaufschwung wird nun kräftig hineinpubliziert.

Eines der neuesten Bücher ist Christian Füllers „Schlaue Kinder, schlechte Schulen“ (Droemer Verlag, München 2008). Er legt den Finger in viele Wunden des Schulsystems. Der „Taz“-Journalist prangert die ungerechte Verteilung der Mittel, die mangelnde individuelle Förderung von Kindern und die Orientierung auf Auslese an. Die systematische Produktion von Verlierern dieses Systems, von „Risikoschülern“ folgt zwangsläufig daraus. Die Mängel der Lehrerbildung tragen mit dazu bei, dass Pädagogen nicht über das Handwerkszeug verfügen, die Potenziale von Kindern zu fördern. Für alle Schwächen in Schulen und für defizitäre Schülerleistungen gibt es – nach Füller – eigentlich nur zwei Erklärungen: Schuld sind die unfähigen Kultusminister mit ihren Bürokratien und das gegliederte Schulsystem.

Das Schulsystem wurde verändert - doch die Reformen wirken nicht sofort

Zugegeben, es könnte in der Bildungspolitik häufig schnellere und klügere Entscheidungen geben. Aber es ist keine Besonderheit in Deutschland, dass sich Schulreformen langsam vollziehen. Pädagogisches Handeln hängt wesentlich vom Bewusstsein von Menschen ab und lässt sich nicht im Handumdrehen ändern. Auch andere Länder haben für Schulreformen zehn und mehr Jahre gebraucht. Zudem wäre es durchaus lohnend sich die verschiedenen Ansätze der Reformen in den Bundesländern genauer anzusehen.

Auch die Kritik an der Gliederung unseres Schulsystems ist ganz sicher in vielen Punkten berechtigt. Es richtet zu sehr den Blick auf mitgebrachte Begabungen von Kindern und zu wenig auf deren Förderung. Wie weit die Schulstruktur aber Ursache aller Schwächen ist, kann wissenschaftlich nicht wirklich belegt werden. Auch Schulsysteme mit integrativen Schulen schneiden bei Schülerleistungsvergleichen höchst unterschiedlich ab. Füllers geschichtlicher Rückblick „Der lange Streit um die Einheitsschule“ reicht zwar von den Auseinandersetzungen zwischen Alliierten und Kultusministern bis zum Beschluss der KMK von 1982; die Einheitsschule der DDR von 1949 bis 1990 wird dagegen mit keinem Wort erwähnt. Deren Existenz dürfte aber zur Ideologisierung des Streites um die Schulstruktur ihren Beitrag geleistet haben.

Pädagogische Leuchttürme zeigen, wo es Spielräume gibt

Das Buch weist erfreulicherweise eine Reihe pädagogischer Leuchttürme auf, die sich wie die gallischen Dörfer im Kampf gegen die Kultusbürokratie behauptet haben. Damit werden auch die Bewegungsspielräume sichtbar.

Füllers sieben Voraussetzungen für eine gute Schule stellen mit Recht eine Frage in den Mittelpunkt: Wer ist verantwortlich und wer erklärt sich für zuständig? Leider bezieht er diese Frage nur auf die politischen Zuständigkeiten. Sinnvoller ist es jedoch, die Grundsatzfrage an alle zu stellen, die an der Bildung von Kindern beteiligt sind. Schulen müssen dazu bewegt werden, endlich Verantwortung für die Schülerleistungen zu übernehmen, und auch Eltern und Schüler müssen ihren Beitrag für gelingende Bildungsprozesse leisten. Diese Gruppen kommen in „Schlaue Kinder, schlechte Schulen“ als Akteure zu kurz und werden eigentlich nur als Opfer des Systems beschrieben. Den Grundsatz der Neuverteilung von Verantwortung lohnte es, für alle Beteiligten durchzudeklinieren und nicht bei der Politikerschelte stehen zu bleiben.

An diesen Grundsatz knüpft ein kürzlich veröffentlichtes Buch von Ludger Wössmann, Ökonom am Ifo-Institut, an. Er plädiert in „Letzte Chance für gute Schulen“ (Zabert Sandmann Verlag, München 2007) für den Befreiungsschlag aus der Schulmisere: Mehr Konkurrenz für die staatlichen Schulen durch Schulen in freier Trägerschaft. Erfrischend ist, dass Wössmann die Pisa-Daten neu mischt und danach untersucht, wie welchen Einfluss „Privatschulen“ auf die Schülerleistungen haben. Seine Schlussfolgerung: In Ländern, in denen der Anteil an Schulen in privater Trägerschaft, die allerdings öffentlich finanziert werden, hoch ist, schneiden die Schüler insgesamt – auch die der öffentlichen – besser ab. Er hinterfragt die beliebte Forderung nach mehr Geld für Bildung und die nach kleineren Klassen und räumt auch mit weiteren gängigen Routineforderungen auf.

Wenn es mehr freie Schulen gibt, könnten Eltern wählen und staatliche Schulen würden motiviert, mehr als bisher von ihren Entscheidungskompetenzen Gebrauch zu machen, argumentiert Wössmann. Schulen aller Art sähen sich gezwungen, ihre pädagogischen Erfolge und Misserfolge öffentlich zu dokumentieren. Auch der Ifo-Wissenschaftler fordert eine längere gemeinsame Schulzeit ohne frühe Trennung der Kinder. Statt moralischer Appelle aber möchte er die Umsteuerung mit klaren Instrumenten befördern, mit Bildungsgutscheinen und der erleichterten Gründung von freien Schulen.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat in Pisa 2006 allerdings den eindeutigen Zusammenhang von Schulen in freier Trägerschaft und Schülerleistungen bestritten. Diesen Streit wird man den Wissenschaftlern überlassen müssen. Was aber ohne Zweifel auch dem nicht wissenschaftlichen Betrachter einleuchtet, ist die Einsicht, dass Schulsysteme mit Verantwortlichkeiten und Rechenschaftspflichten für alle Beteiligten auch bessere Schülerleistungen hervorbringen.

Für kanadische und finnische Schulen ist es von überragender Bedeutung, dass sie verantwortlich sind dafür, wie die Jugendlichen die Schulen verlassen. Wie neben Politikern auch Eltern, Schüler und Lehrkräfte begeistert und in die Pflicht genommen werden können, wie sich eine Kultur positiver Leistungsorientierung etabliert, dafür können beide Bücher Anregungen geben. Antworten zu erwarten, wäre sicher zu viel.

Die Autorin war Senatorin für Schule, Berufsbildung und Sport in Berlin.

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 17.04.2008)
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Kommentare [ 8 ] Kommentar hinzufügen »

Comment
von   f.j.neffe | 17.04.2008 13:31:51 Uhr
Ein Königreich für ein konkretes Beispiel!
Wir könnten ja einmal aufhören, das Prüfen von Schule und Pädagogik immer mit vorgegebenen Schablonen von außen her vorzunehmen. Auch die exakte Beobachtung und Wahrnehmung ist keinesfalls unwissenschaftlich.
Damit können wir womöglich keine für tausende "signifikante" Aussage machen, aber wenn wir mit einem einzigen Menschen das erste Problem tatsächlich erkennen und verstehen und konkret lösen, dann gibt es schon einmal ein wirkliches Beispiel für Lösung. Millionen von Menschen sind auf der Suche nach einem Beispiel, an dem sie lernen könnten, wie man ein Problem löst. Durch tausende theoretische Vorgaben und Beurteilungen dieser Vorgaben kommen sie in der Praxis keinen Schritt weiter. Ein Beispiel! Ein Königreich für ein Beispiel! Mit herzlichen Grüßen
Franz Josef Neffe, Deutsches Coué-Institut
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von   rivka | 17.04.2008 16:15:17 Uhr
Privatschulen
"Mehr Konkurrenz für die staatlichen Schulen durch Schulen in freier Trägerschaft."
Wozu das führt, kann man in den USA besichtigen: kostenlose, schlechte öffentliche Schulen einerseits und gute, teure Privatschulen andererseits; Bildung nur für die, die sie sich leisten können.
Nicht wirklich wünschenswert und gerecht schon gar nicht.
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von   music3 | 19.04.2008 12:14:10 Uhr
bitte zuende Denken
Sie argumentieren gegen teure Privatschulen. Die gibt es in der Tat in den USA und auch sehr vereinzelt hierzulande.
Es geht aber um öffentliche "Schulen in freier Trägerschaft"!

Bei diesen trägt die finanzielle Verantwortung - wie auch schon jetzt - der Staat. Die pädagogische Verantwortung liegt bei den Schulträgern.

Dass dort bislang Eltern Geld zahlen müssen, liegt nur daran, dass die staatl. Finanzierung hier niedriger ausfällt (teilweise 60-70% der Gesamtkosten) als an staatlichen Schulen. Wenn es nach den privaten Trägern ginge, würden die am liebsten eine 90-100% Finanzierung der Gesamtkosten erhalten und den Eltern gar keinen Beitrag abverlangen.
Ohne die Qualität der Schulen zu vergleichen, gibt es ein wichtiges Argument FÜR die freien Träger: Sie arbeiten kostengünstiger.

Waldorfschulen (als Arbeiterbildungschule gegründet) selektierne in der Regeln nicht! Sie nehmen ein Kind ERST auf und führen dann erst Gespräche über die Finanzen.
Comment
von   music3 | 19.04.2008 13:48:15 Uhr
bitte zuende Denken
Sie argumentieren gegen teure Privatschulen. Die gibt es in der Tat in den USA und auch sehr vereinzelt hierzulande.
Es geht aber um öffentliche "Schulen in freier Trägerschaft"!

Bei diesen trägt die finanzielle Verantwortung - wie auch schon jetzt - der Staat. Die pädagogische Verantwortung liegt bei den Schulträgern.

Dass dort bislang Eltern Geld zahlen müssen, liegt nur daran, dass die staatl. Finanzierung hier niedriger ausfällt (teilweise 60-70% der Gesamtkosten) als an staatlichen Schulen. Wenn es nach den privaten Trägern ginge, würden die am liebsten eine 90-100% Finanzierung der Gesamtkosten erhalten und den Eltern gar keinen Beitrag abverlangen.
Ohne die Qualität der Schulen zu vergleichen, gibt es ein wichtiges Argument FÜR die freien Träger: Sie arbeiten kostengünstiger.

Waldorfschulen (als Arbeiterbildungschule gegründet) selektierne in der Regeln nicht! Sie nehmen ein Kind ERST auf und führen dann erst Gespräche über die Finanzen.
Comment
von   freidenker | 18.04.2008 19:29:51 Uhr
unverfroren
Wieder zwei neue Bücher, die recht oberflächliche Antworten auf eine in Wahrheit SEHR schwierige Problemkonstellation geben!
Die Wirklichkeit der deutschen Oberschulmisere ist doch viel komplexer.

Was mich aber allmählich richtig stört, das ist die unverfrorene Selbstverständlichkeit, mit der Leute, die NICHT tagtäglich mit Schülern arbeiten (z.B. ein Wirtschaftswissenschaftler vom ifo-Institut oder ein Redakteur) sich anmaßen, über Schule zu schreiben und fordernde Ratschläge zu geben.

Wie kommen die eigentlich dazu???




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von   ganymed | 20.04.2008 13:00:25 Uhr
@music 3
in waldorfschulen wird auf ganz anderer ebene selektiert und zurecht. waldorf macht man nicht nebenher.da soll das elternhaus 100 prozent mitmachen, sonst wird nichts draus.ist bei kirchlichen einrichtungen nicht anders. und die finanzen müssen schon stimmen bei waldorfs.schulgeld ist eine sache, hinzu kommen spenden und elternmitarbeit. sonst bekommen die lehrer kein geld.besonders viel verdienen die eh nicht.die schönen farben und formen fallen auch nicht vom himmel.das kostet. den einen oder anderen armen können waldorfs sich leisten wie ein tierarzt mal preisgünstig einen armen kranken hund behandeln kann.zur regel kann es nicht werden.
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von   halfscot | 20.04.2008 13:02:02 Uhr
Danke Freidenker
Ich habe Ihre letzten Kommentare zum Thema Schule gelesen (vor allem auch den zu E. Laube) und kann Ihnen nur 100%ig zustimmen.
Ich denke mal, dass wir das gleiche Los irgendwie teilen.
Die Verfasserin dieses Artikels hat nicht unwesentlich dazu beigetragen. So lange Bildungspolitik von Provinzpolitikern gemacht wird und in Wirklichkeit Finanzpolitik und Ideologie ist, wird sich kaum etwas ändern.
Kleine Anmerkung zum Schluss: Warum klagen die Unis über zu viele Studienabbrecher? Ich glaube, wir kennen die Antwort. Aber die von den Provinzpolitikern ernannten Experten werden wieder die gewünschten Antworten liefern. Nur die Studie, die gegen die sechsjährige Grundschule aussagt, wird im Nichts verschwinden.
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von   freidenker | 20.04.2008 14:45:32 Uhr
@ halfcsot
Danke!

Ja, sehe ich auch so: Frau Volkholz hat sich auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert - damals als Senatorin. Ich denke jetzt an das Thema "Integration" ... als Gedanke am Anfang vielleicht ganz nett, in der Realität schuf dies aber eine schlimmere Situation als vorher!


Außerdem nervt es heute bei so vielen bildungspolitischen Themen, dass immer wieder Leute kommen, die mit großem Trara das Rad zum zehnten Mal erfinden wollen - und es noch nicht mal merken.

Dass Bildungspolitik (heute) in Wirklichkeit "Finanzpolitik und Ideologie ist" - das haben Sie ebenso zutreffend wie gelungen formuliert.


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