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Studium

Neues Studium, fremde Stadt

Laura machte in Berlin Abitur und zog dann schweren Herzens nach Lüneburg. Ein Erfahrungsbericht.
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Laura 23, machte in Berlin ihr Abitur und studiert mittlerweile in Lüneburg Angewandte Kulturwissenschaft. - Foto: privat
Ein Jahr hatte ich nun mein Abitur in der Tasche, kam gerade von einem Indien-Trip wieder und feierte mich durch das Berliner Nachtleben. Ich war ständig unterwegs, immer auf der Suche nach Neuem, nach Aufregung, wollte Clubs und andere Musik kennen lernen, wollte den Sommer hier auskosten. Doch ich wusste, dass ich das nicht ewig machen könnte und so bewarb ich mich für einen Studiengang in Lüneburg: Angewandte Kulturwissenschaft auf Magister. Bis zum Semesterstart wollte ich es überhaupt nicht wahrhaben – ich wollte hier bleiben. In Berlin gefiel mir alles, der Sommer war großartig, die Leute auch und auf mich wartete nur eine mittelgroße Stadt, die ich nicht kannte und von der ich nicht viel wusste. Ich dachte aber: Zurück kann ich immer.

Die Wochen vergingen in Berlin verdammt schnell. Im Morgengrauen kam ich aus den Clubs, dann schlief ich in den Tag hinein und abends ging ich wieder weg. Ich machte die nahe Zukunft vergessen.

An den Tag vor der Abreise kann ich mich gut erinnern. Ich saß mit einem Freund zusammen, wir waren gerade von einer Partynacht erwacht und ich sagte bloß: „Morgen bin ich hier weg“. Mit einem Mal wurde mir klar, dass ich morgen hier die Zelte abbrechen werde, um ganz neu zu starten. Dieses Gefühl hatte ich so nie, selbst als ich in der 11. Klasse in die USA ging oder nach dem Abitur durch Indien reiste. Ich wusste immer, dass ich zurückkommen werde. Doch jetzt war die Sache anders: Die Trennung von meinen Freunden, von meiner Stadt Berlin würde länger andauern. Dieser letzte Tag hier hatte etwas sehr Melancholisches. Fahren wollte ich nicht. Aber ich wusste: ich muss.

Die erste Zeit in Lüneburg war schwer. Vielleicht wegen der Umstellung: Hier war alles kleiner, braver und übersichtlicher. Und dabei liebte ich die Unübersichtlichkeit in Berlin doch so sehr. Nun musste ich mich mit der Kleinstadtkultur anfreunden. In den ersten Tagen war ich noch unaufgeschlossen, wenig kontaktfreudig, ich hatte einfach kein Interesse an den Leuten. Berlin – da wollte ich hin. Als mir meine Eltern die Möbel brachten, wusste ich aber: Es gibt kein Zurück. Und so musste ich mich mit der neuen Situation anfreunden.

Das brauchte eine Weile. Bis ich auf Leute zugehen konnte, musste ich Berlin vergessen, mich öffnen. Und zum ersten Mal in meinem Leben fiel mir das schwer. Neue Kontakte flogen mir nicht mehr so zu wie in Berlin, ich musste sie mühsam aufbauen. Das war harte Arbeit. Deshalb besuchte ich Berlin an den Wochenenden immer öfter – ein gutes Gegengift zu Lüneburg.

Als ich mich einige Wochen später eingewöhnt und mein Leben organisiert hatte, ging es mir besser. Das Studieren fiel mir sogar leicht. An der Uni konnte mich nichts aus der Bahn werfen: Ich war die Großstadt gewohnt. Das anfängliche Chaos war für mich nicht so tragisch wie für Leute aus einer Kleinstadt. Neue Freundschaften zu schließen blieb trotzdem mühsam.

Heute bereue ich meinen Umzug keineswegs. Ich studiere in Lüneburg und wohne in Hamburg. In einer Großstadt vermisse ich Berlin nicht allzu sehr. Aber ich will auf jeden Fall zurückkehren: zu meinen Freunden, meinen Clubs und zu meiner Familie. Die anfängliche Unlust an der Uni ist vorbei, ich konnte mich zum Lernen motivieren. Gerade habe ich meine Zwischenprüfung abgelegt, arbeite als Kulturbeauftragte beim Hamburger Festival Dockville, treibe mich in der Kunstszene rum – vielleicht alles Dinge, wofür mir in Berlin die Begeisterung gefehlt hätte. Aber dennoch vermisse ich meine Heimatstadt – gerade jetzt vor dem Sommer.

Aber ewig werde ich nicht wegbleiben. Bis 2012 habe ich noch Zeit, dann endet mein Studiengang. Spätestens dann bin ich wieder zurück.

Aufgezeichnet von Ric Graf.

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 23.04.2008)

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