An zweiter Stelle der Rangliste steht ein Mann namens Judson Laipply, der sich zu zügig wechselnden Soundfetzen durch die Musikgeschichte twistet und groovt. Das Video heißt "Evolution of Dance". Über 110 Millionen Klicks hat es weltweit. Häufiger wurde auf der Plattform Youtube nur noch ein Clip der Sängerin Avril Lavigne angesehen. Ein bisschen seltener Musikvideos anderer Popstars - und der Clip, bei dem der Babybruder eines kleinen Jungen namens Charlie diesem in den Finger beißt und anschließend lacht, als wäre er eine Comicfigur in einem Zeichentrickfilm. Immerhin, das Video verzeichnet auch fast 80 Millionen Aufrufe. Das ist, was sich die Leute am liebsten auf Youtube anschauen: Quatsch mit Musiksoße.
In den vergangenen Jahren hat sich im Internet ein neues Format durchgesetzt: das Mini-Filmchen, ein Unterhaltungshappen für zwischendurch, den Netznutzer im Vorbeigehen mitnehmen wie draußen auf der Straße den Donut oder Döner. Es ist ein Format, das Nutzer geschaffen haben, indem sie ihre Söhne beim Sich-gegenseitig-in-den-Finger-Beißen filmten oder ihre Lieblingsstellen aus ihren Lieblingsserien für Youtube zurechtschnitten.
Besonders im vergangenen Jahr haben deutsche Medienunternehmen angefangen, sich auf dieses Netzhappen-Format einzulassen. Erst kürzlich ist die letzte Folge der ersten "Pietshow"-Staffel gelaufen, die die Produktionsfirma Ufa mit dem Studentennetzwerk StudiVZ produziert hat. Die Plattform Myspace hat die Websoap "Candy Girls" geschaffen, deren Clips fünf bis zehn Minuten dauern.
Konkurrenz fürs klassische Fernsehen? Eher weniger. Der Netzhappen erfüllt eine völlig andere Funktion als der 90 Minuten lange Spielfilm, die Quizshow oder die Volksmusikgala: Er ist der kleine Lacher für Zwischendurch, den sich Kollegen oft als Link per E-Mail zuschicken, so wie sie sich auch Witze erzählen - und er gehört eher ins Büro als ins Wohnzimmer: 65 Prozent der Online-Videonutzer luden ihre Clips im Oktober zwischen Montag und Freitag in der Zeit von neun bis 17 Uhr herunter. "Der Werktag ist die Primetime des Online-Videos", kommen die Marktforscher von Nielsen zum Schluss, die die Daten erhoben. Im Augenblick scheint während dieser Primetime noch der Nutzer der Marktführer zu sein.
Manche, wie der Amerikaner Michael Buckley mit seiner Celebrity-Klatsch-Show, verdienen so neuerdings ihren Lebensunterhalt, weil Youtube seit einem guten Jahr auf Wunsch Werbung für sie schaltet. Auch Medienkonzerne mühen sich im Fernsehvorreiterland USA, mit Webformaten Geld zu verdienen. Die Produktionskosten sind zwar äußerst gering - die Einnahmen allerdings meist noch viel geringer.
Denn die Aufmerksamkeit während der Arbeitsplatz-Primetime ist flüchtig. Knapp 90 Prozent der Online-Videonutzer verweilen gerade einmal zehn Sekunden bei einem Clip, stellt der Dienst Tubemogul fest. Der nächste Klick könnte noch interessanter sein.