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Rote-Khmer-Tribunal

"Es wird zu Verurteilungen kommen"

Am 17. Februar beginnt in Kambodscha der erste Prozess vor dem Khmer-Rouge-Tribunal – 30 Jahre nach dem Ende der Schreckensherrschaft der Roten Khmer. Ein Interview mit dem Hamburger Staatsanwalt Jürgen Aßmann, der die kambodschanische Anklägerin des Tribunals berät.
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Jürgen Aßmann - Foto: Scheffer
Herr Aßmann, warum hat es so lange gedauert, die Täter vor Gericht zu stellen?

Wenn man die Umstände betrachtet, hat es gar nicht lang gedauert. Die Roten Khmer wurden zwar 1979 von vietnamesischen Truppen aus Phnom Penh vertrieben, kämpften danach aber weiter. Auch nach dem offiziellen Ende des Bürgerkriegs 1991 kam das Land lange nicht zur Ruhe. 2003 einigten sich die Vereinten Nationen und die neue Regierung des Landes über die Modalitäten des Gerichtshofes, drei Jahre später stand das Gericht. Für die Ermittlungen im ersten Fall haben wir nur ein Jahr gebraucht.

Warum findet der Prozess in Kambodscha statt? Ähnliche Tribunale wie das für den Völkermord in Ruanda und das für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien wurden bewusst im Ausland angesiedelt.

Das war eine Bedingung der kambodschanischen Regierung, dem Tribunal zuzustimmen. Es sollte in das einheimische Rechtssystem eingebettet und einheimische Richter sollten an den Verfahren beteiligt werden. Die Verantwortlichen in Phnom Penh wollten sich dadurch die Möglichkeit erhalten, den Umfang der Tätigkeit des Tribunals mitzubestimmen. Deshalb arbeiten nun einheimische und internationale Richter gemeinsam. Die Ermittlungen beschränken sich auf Führer der Roten Khmer und Personen, die für besonders schwere Verbrechen in der Zeit des Regimes von 1975 bis 1979 verantwortlich waren. Dass die Prozesse in Kambodscha selbst stattfinden, macht es im Übrigen für das Tribunal leichter, die Gesellschaft einzubinden. Das war in der Vergangenheit bei anderen Verfahren, die nicht vor Ort stattfanden, stets als Problem wahrgenommen worden.

Gegen fünf Personen hat das Tribunal bislang ermittelt. Vier davon gehörten der Führungsspitze der Roten Khmer an, Kaing Guek Eav, genannt Duch, der Angeklagte, dessen Prozess am 17. Februar beginnt, leitete das schlimmste Folter- und Exekutionsgefängnis des Regimes. Können Prozesse gegen diese fünf den Tod von 1,7 Millionen Menschen, die unter den Roten Khmer starben, aufarbeiten?

Die Verfahren sind sicher nur ein Teil der Aufarbeitung. Aber sie sind ein Katalysator für gesellschaftliche Veränderungen. Viele Debatten über Versöhnung oder Traumaaufarbeitung wären ohne das Tribunal nicht aufgekommen.

Dennoch steht die Frage im Raum, ob Premierminister Hun Sen, einst selbst ein Roter Khmer, sich selbst oder Vertraute mit der Eingrenzung des Tribunals vor Strafverfolgung schützen möchte?

Historiker sind sich darüber einig, dass kein derzeitiges Regierungsmitglied unter dem vereinbarten Mandat des Gerichts mit Strafverfolgung rechnen muss. Studien belegen zudem, dass auch die Bevölkerung nicht etwa Tausende ehemalige Rote Khmer vor Gericht sehen möchte. Vielmehr überwiegt der Wunsch, Verfahren mit großer Symbolwirkung gegen diejenigen anzustrengen, die die größte Verantwortung tragen.

Ist denn die Bevölkerung überhaupt noch an einer Aufarbeitung interessiert?

Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung hält das Tribunal für notwendig. Das haben Umfragen klar gezeigt.

Eine Besonderheit des Tribunals besteht darin, dass Opfer in den Verfahren als Nebenkläger auftreten können. Machen die Opfer davon Gebrauch?

Allein für den ersten Prozess gibt es mehr als 90 Anträge auf Nebenklage. Das ist ein großer Erfolg, denn als das Tribunal eingerichtet wurde, war es in der Bevölkerung kaum bekannt. Durch die Beteiligung der Opfer, begleitet durch landesweite Informationskampagnen, hat sich dies geändert – und das Gericht kann seiner Rolle als Instrument der Aufarbeitung nun deutlich besser gerecht werden.

Wie ist die Beweislage nach mehr als 30 Jahren?

Glücklicherweise mussten wir bei den Ermittlungen nicht bei null anfangen. Es gibt hier in Phnom Penh ein von den USA initiiertes Dokumentationszentrum, das seit 1995 Dokumente aus der Zeit der Roten Khmer sammelt. Doch war das Regime kein bürokratisch durchorganisierter Staat wie etwa das Dritte Reich, was die Sache erschwert. Immerhin reichte die Beweislage, um die Beschuldigten in Untersuchungshaft zu nehmen. Das bedeutet, dass die für die Ermittlungen zuständigen Richter von einem dringenden Tatverdacht ausgehen. Insofern bin ich zuversichtlich, dass es zu Verurteilungen kommen wird.

Wie lange werden die Prozesse dauern?

Beim ersten Verfa"ren rechnen wir mit einem Urteil in einigen Monaten. Das zweite gegen die vier übrigen Angeklagten wird hoffentlich 2011 abgeschlossen sein. Insbesondere diese vier sind sämtlich schon um die 80 Jahre alt und nicht bei bester Gesundheit, deshalb ist Eile geboten.

Ist es angesichts des Zeitdrucks nicht ein großes Hindernis, dass einheimische und internationale Richter im Konsens entscheiden müssen?

Ich begreife das eher als Chance, denn dies ermöglicht uns auch, Defizite im noch jungen kambodschanischen Justizsystem zu verbessern. Seit 2007 gibt es eine neue Prozessordnung, und das Tribunal ist die erste Institution, die diese durchexerziert. Man muss wissen, dass weniger als zehn Juristen das Regime der Roten Khmer überlebt haben. Insofern leistet das Tribunal wichtige Aufbauarbeit.

Jürgen Aßmann (36), Staatsanwalt aus Hamburg, wurde vom Centrum für Internationale Migration und Entwicklung (CIM) im November 2006 als Rechtsberater nach Kambodscha vermittelt. Dort berät er die kambodschanische Anklägerin des Tribunals zur Aufarbeitung der Verbrechen der Roten Khmer. Mit ihm sprach Ulrike Scheffer.

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 16.02.2009)
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