Stiller Star : Raffael - Herthas Schleicher zwischen den Linien

20.02.2009 15:51 UhrVon Sven Goldmann
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Herthas Mann für die besonderen Augenblicke. Der Brasilianer Raffael (vorn) im Duell mit dem Münchner Mark van Bommel. - ddp

Er fällt nicht auf, doch plötzlich entscheidet er ein Spiel. Der Brasilianer Raffael ist so effizient wie sein Verein Hertha BSC – und manchmal so unsichtbar wie Harry Potter.

Ihr Auftritt, Senhor Raffael: Ballannahme am Mittelkreis, Drehung, Gegenangriff. Drei Berliner laufen gegen drei Münchner. Mit dem rechten Fuß führt Raffael den Ball. Dreimal touchiert er ihn, läuft dabei einen leichten Bogen, lockt Martin Demichelis aus dem Zentrum und wartet, bis Andrej Woronin sich zwischen Ball und Lucio schiebt. In exakt diesem Augenblick saust der Ball in den Lauf von Woronin. Keine Sekunde zu früh, keinen Meter zu weit, keinen Stundenkilometer zu schnell.

Der Rest der Geschichte ist bekannt. Woronin schießt das 2:1 gegen den FC Bayern München und löst damit eine Euphorie aus, wie sie der Berliner Fußball lange nicht erlebt hat.

Woronin ist für dieses Tor gefeiert worden, er hat es seiner Frau gewidmet, seinen Kindern, der ganzen Stadt. Der Urheber aller Jubelarien aber schlich sich davon, wie er das immer tut. Raffael sagt, es sei ihm eine Ehre, der Mannschaft zu helfen, und das Tor, nun ja, „wenn Andrej nicht im richtigen Augenblick losläuft, dann fällt auch kein Tor“, aber jetzt müsse er leider gehen, zu Hause wartet die Familie, schönen Tag noch.

Raffael Caetano de Araújo ist nicht leicht zu packen, im Gespräch genauso wenig wie auf dem Platz. Der 173 Zentimeter kleine Brasilianer huscht so unauffällig über den Platz, dass ihn das Publikum schon mal 90 Minuten lang nicht zur Kenntnis nimmt. Raffael war der Wunschspieler von Trainer Lucien Favre, dessen Verpflichtung er bei seinem Wechsel nach Berlin im Sommer 2007 zur conditio sine qua non machte. Ein halbes Jahr lang feilschte Hertha, bis der FC Zürich seinen Torjäger ziehen ließ, Kostenpunkt: 4,3 Millionen Euro.

Raffael ist der teuerste Spieler der Ära Favre, und das hat Begehrlichkeiten geweckt. Herthas Fans erwarteten einen Spielmachertorjägerflankengeber. Sie bekamen einen mit der Gabe, sich auf dem Spielfeld unsichtbar zu machen, als habe er sich aus Harry Potters Tarnmantel einen Fußballdress gestrickt. Keiner provoziert in den Fanforen im Internet so viel Unmut wie Raffael. Das wirkt ein wenig schizophren, wenn sich die selben Fans an Siegen erwärmen wie dem 2:1 über die Bayern, die vor einer Woche 90 Minuten lang die dominierende und prägende Mannschaft war. Die Münchner haben gespielt, die Berliner die entscheidenden Treffer platziert. Für dieses auf Effizienz reduzierte System Hertha steht Raffael wie kein zweiter Spieler.

Andy Warhol hat 1968 gesagt, es werde eine Zeit kommen, in der jeder Mensch für eine Viertelstunde berühmt sei. 41 Jahre später reichen Hertha dafür schon ein paar Minuten. Vielleicht wird die Zukunft Spieler wie Raffael feiern für ihre Fähigkeit, die entscheidenden Sekunden zu gestalten. Die Gegenwart ist so weit noch nicht. Wer erinnert sich heute noch an Raffaels Saisoneröffnungstor im August in Frankfurt, erzielt nach perfektem Doppelpass mit Pantelic? Oder an seinen Tippkick-Treffer in der vergangenen Saison gegen Duisburg, eine Hommage an ein großartiges Tor, das Ronaldinho mal in Chelsea geschossen hat. Verflogen, Schicksal eines Mannes mit der Gabe, besondere Momente heraufzubeschwören.

Lucien Favre schätzt Raffael als Mann für die besonderen Sekunden, aber auch seinen Fleiß und seine Systemtreue. Viele seiner Aktionen fallen nur deshalb nicht auf, weil er den Ball nur ein-, zweimal berührt. Ohne Spieler wie Raffael wären die aus dem Nichts heraus gestarteten überfallartigen Konter, mit denen Hertha so manches Spiel gewonnen hat, gar nicht möglich. Im Favre-Deutsch ist Raffael eine Neuneinhalb. Kein Stürmer (Nummer neun), kein Spielmacher (zehn), ein Schleicher zwischen den Linien. Einer, der torgefährliche Situationen schnell erfasst, der den Ball streichelt, ihn im Zweifelsfall aber auch mit roher Gewalt ins Tor zimmert (wie bei seinem ersten Tor für Hertha vor ziemlich genau einem Jahr in Stuttgart). „Auch ich kann nicht wissen, wohin der Ball in solchen Situationen fliegt“, sagt Raffael, „aber als Offensivspieler muss du ein Gespür dafür haben.“

Favre hat ihn vor fünf Jahren entdeckt, als er selbst noch den FC Zürich trainierte und Raffael für den Zweitligisten FC Chiasso stürmte. Der entscheidende Tipp kam vom Trainersohn Loic Favre, der da gerade seine Profikarriere ausklingen ließ. Raffael war der entscheidende Mann bei den beiden Meisterschaften, die der FC Zürich unter Favre überraschend gewann. Ohne Favre wäre er vielleicht nie in der Bundesliga gelandet. Mit seinen fußballtechnischen Miniaturen, von denen er mal mehr, öfter weniger zeigt, ist Raffael nicht dafür prädestiniert, den flüchtigen Beobachter von einer millionenschweren Investition zu überzeugen.

Für Raffaels Karriere war Lucien Favre ein Glücksfall. Jetzt arbeitet Favre daran, dass Raffael ein Glücksfall für Hertha wird. Bisher reichten zwei, drei perfekte Spielzüge, um Spiele zu gewinnen, die nach optischem Maßstab kaum zu gewinnen waren. „Wir haben ein paar Spiele gewonnen, nach denen wir selbst nicht wussten, wie wir das gemacht haben“, hat Kapitän Arne Friedrich nach der Hinrunde gesagt.

Doch das Glück ist ein flüchtiger Geselle mit begrenzter Loyalität. Um die Abhängigkeit von seinen Launen zu mindern, muss Hertha die Produktivität steigern, was wiederum bedeutet, dass der Mann für die besonderen Momente ein paar besondere Momente mehr einstreuen muss. In 34 Bundesligaspielen kommt Raffael Caetano de Araújo auf sieben Tore, er hat sie gleichmäßig auf sieben Klubs verteilt. Der VfL Wolfsburg, bei dem Hertha am Samstag zur Verteidigung der Tabellenspitze antritt, zählt noch nicht zu den Geschädigten.

Ihr Auftritt, Senhor Raffael.

Hertha am Samstag in Wolfsburg (15.30 Uhr, live auf Premiere): Drobny – Stein, Friedrich, Simunic, Rodnei – Ebert, Dardai, Cicero, Nicu – Raffael, Woronin.

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