Dienstag, 24. März 2009 | Schriftgröße: AAA

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Sturm und Drang in Knickerbocker

Premiere Samstag im Ronacher: "Frühlings Erwachen" ist kein typisches Musical – und auch sonst ein Missverständnis.

Frühlingserwachen auf der Bühne. Überschwang der Gefühle: Hanna Kastner (Wendla) und Rasmus Borkowski (Melchior) – Sprösslinge zwischen Lateinstunde und Advents-Choral DruckenSendenLeserbrief
An "Fame" faszinieren Spannung und Musik, "Cabaret" hat eine bewegende Story und gut gezeichnete Figuren. "Footloose" lebt von Tanz-Szenen, "Sweeney Todd" ist ein Thriller und "Mamma Mia!" macht gute Laune mit Smash-Hits zum Mitsingen.
Von alledem hat "Frühlings Erwachen" nichts. Auf den Broadway ist eben auch kein Verlass mehr. Was dort Auszeichnungen abräumt, muss nicht zwangsläufig auch anderswo funktionieren. Etwa bei der deutschsprachigen Erstaufführung.

Im Ronacher spielt das Rock-Musical von Steven Sater (Text) und Duncan Sheik (Musik) nach Frank Wedekind in einem einzigen Bühnenbild. Die Eröffnungsszene "Mama, du hörst mich, Mama, du siehst mich" erinnert frappant an "Papa, can you hear me" aus "Yentl". Was dann kommt, hat die Anmutung des Klassenzimmers in "Der blaue Engel" und von 50er-Jahre-Filmen wie "Mädchen in Uniform". Nur ist weit und breit keine Romy Schneider.

Erste Liebe Erster Sex, Probleme mit überholten Moralvorstellungen einer konservativen, lustfeindlichen Umgebung mit tödlichem Ausgang, das ist der Stoff, den Regisseur Michael Mayer auf ein kleines Quadrat in einem großen Theater konzentriert. Als spielte man in der Kammeroper. "Frühlings Erwachen" ist kein großer Wurf. Das Musical hat zwar einige hübsche lyrische Momente und rund 20 Songs, aber keinen, der länger im Hirn haften bleibt oder sich gar zum Nachsingen aufdrängt.

Das bemühte Ensemble singt, tanzt und spielt, hat bisher aber zum Teil noch keine Bühnenerfahrung. Es gibt keine bekannten Darsteller außer Julia Stemberger, die verschiedene Typen von Bißgurn bis verklemmter Mutter als Karikatur zeichnet.
Bill T. Jones’ Choreografie wirkt durch Hopsen und teils merkwürdige Verrenkungen unfreiwillig komisch.

Immerhin: Kreativ sind die Frisuren der Youngsters von Zopf bis Pony und Tolle.
Hanna Kastner (Wendla) zeigt Talent. Rasmus Borkowski (Melchior) auch seine stimmlichen Grenzen.

Aufbegehren

Gefühlsverwirrungen der bürgerlichen Sprösslinge im Sturm und Drang in Knickerbocker-Hosen finden zwischen Lateinstunde, Goethe-Lektüre und Advents-Choral statt, äußeln sich in einem Lamento über die "verfickte Welt". Ein trotzig hingeworfenes "Arsch" der Drangsalierten war vielleicht vor 100 Jahren shocking. Die hier angepeilte Zielgruppe der von Rap und Hip-Hop umspülten iPod- und MTV -Generation dürfte derlei so wenig jucken wie Texte von der Art: "Die Stute wird den Hengst um sie springen sehen …"

Nun ist Musical naturgemäß kein Genre, in dem der Tiefgang wohnt. Aber für das Ronacher scheint ein Satz zu gelten, der auch bei Wedekind – im "Marquis von Keith" – steht: "DasLeben ist eine Rutschbahn."


Fazit: Rock-Musical ohne Happy End

Stück: "Frühlings Erwachen". Drei Jugendliche werden mit ihren Gefühlen von den Erwachsenen allein gelassen und von der Gesellschaft unterdrückt.

Spiel: Als Schlussveranstaltung der Schülerklasse Musical passabel. Als Ronacher-Produktion "vom Broadway" zu wenig.

Eindruck: Bieder, bemüht, aber uninspiriert. Mittelmäßig.

KURIER-Wertung: *** von *****



Artikel vom 22.03.2009 16:43 | Werner Rosenberger | reis

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