Am 30. April 2008 trafen wir uns mit
Prof. Flaig in Rostocks Weinwirtschaft, um über zentrale Aspekte
hiesiger Erinnerungskultur und Geschichtspolitik zu diskutieren. Im
Folgenden veröffentlichen wir den dritten Teil des Gesprächs unter dem Titel "Multikulturalismus führt in den Bürgerkrieg".
ENDSTATION RECHTS.: Das rechte Denken hat sich in
den letzten Jahrzehnten fundamental verändert. An die Stelle eines
Wertigkeitsdiskurses im Gewande der biologischen Rasse ist der so
genannte Ethnopluralismus getreten, also ein “Sprachspiel”, das
Wertungen ablehnt und stattdessen für ein Lob der Differenz plädiert,
wie man es seit Jahrzehnten auf Seiten der Linken kennt. Diese
Verschiebung können Sie von der neuen Rechten bis zur NPD feststellen.
Demnach sollen die Völker und Kulturen in Vielfalt koexistieren - aber
jeweils in nationaler Abgeschiedenheit. Muss vor dem Hintergrund des
sich ausbreitenden Relativismus der Ethnopluralismus als postmodernes
Phänomen, als Einbruch der Rechten in das ideologische Feld der
relativistischen Linken angesehen werden?
Prof. Flaig: Mir scheint, die Klassifizierung
‚links-rechts’ stimmt schon lange nicht mehr. Die Linke war
traditionell, seit der französischen Revolution, universalistisch
ausgerichtet und auf ‚Gerechtigkeit’ und ‚Freiheit’ orientiert. Das ist
längst vorbei. Einerseits vertritt die Postmoderne ziemlich genau die
Positionen der menschenrechtsfeindlichen Reaktionäre des 19.
Jahrhunderts; daher ist Nietzsche auch ihr Kronzeuge. Anderseits hat
sich die Linke mit dem Zusammenbruch des ‚proletarischen’ oder
wenigstens ‚sozialistischen’ Internationalismus verabschiedet vom
Universalismus. Ihr ‚Internationalismus’ ist zusammengeschrumpft zu
einer emotionalisierten ‚Solidarität’ mit den ‚Unterdrückten’, diese
kakophone Begleitmusik des ‚Antikolonialismus’, der mit
anti-universalistischem Pathos die eigene Kultur ‚verteidigt’. Dieses
‚Verteidigen’ führte nicht nur bei Frantz Fanon zu faschistoiden
Konsequenzen, sondern fast überall in der so genannten ‚Dritten Welt’.
Daher die verblüffende Verwandtschaft der Sprache der
‚antikolonialischen’ Ideologie mit der Sprache des Nationalsozialismus.
Daher auch die Nähe entschiedener Linken zum Antisemitismus, in der
Israel-Frage täglich zu sehen.
ENDSTATION RECHTS.: Dann wäre es also nicht die
ethnopluralistische Rechte, die vom linken Multikulturalismus Ideen
borgt, sondern es wäre die Linke, die sich auf ein sehr sumpfiges
‚rechtes’ Gelände begeben hätte?
Prof. Flaig: Genau das behaupte ich; ich folge
darin Alain Finkielkraut und anderen. Mein Kronzeuge ist kein
geringerer als der größte Anthropologe des 20. Jahrhunderts, nämlich
Lévi-Strauss, der 1971 die Verteidigung der kulturellen Vielfalt zum
Programm erhob und darauf hinwies, dass damit selbstverständlich die
Xenophobie – der Fremdenhass - ein notwendiges und gerechtfertigtes
Verhalten sei, und zwar nicht nur gegen die Europäer, sondern zwischen
allen Kulturen überhaupt. Die entsetzliche Konsequenz, zu der
Lévi-Strauss gelangt, lautet schlicht: Nur durch Feindschaft und
Abwertung des ‚Anderen’ lässt sich eine Kultur überhaupt verteidigen.
Der ‚Kulturrassismus’ ist damit in jeder Kultur angelegt und
aktualisiert sich, sobald sie sich bedroht sieht.
ENDSTATION RECHTS.: Ist es nicht eher umgekehrt?
Sehen Sie sich den postmodernen Philosophen Lyotard an. Er rechnet sich
eindeutig der politischen Linken zu. Sein denkerischer Grundimpuls ist
wie in der Kritischen Theorie der Fall Auschwitz. Wir haben es also mit
einem Konzept der Gegenidentität zu tun. Und dann beginnt im Rahmen der
Gegenidentität diese einfältige binäre Logik: Weil Hitler
Wertunterschiede in das Feld des Politischen eingeführt hat, muss ein
Anti-Hitlerist das Gegenteil tun, also auf Wertungen gänzlich
verzichten. Während Hitler ein einziges Modell von „Zivilisation“ der
gesamten Welt überstülpen wollte, muss der Anti-Hitlerist dann wertfrei
die Vielfalt als Selbstzweck feiern, alles andere führe angeblich in
den Totalitarismus.
Prof. Flaig: Hat Lyotard tatsächlich gemeint, was
er geschrieben hat? Es passiert ja den ‚penseurs mineurs’ nicht selten,
dass sie nicht schreiben, was sie meinen. Denn dieser Schwachsinn ist
gigantisch: Weil Hitler geatmet hat, müssen wir aufhören zu atmen…
ENDSTATION RECHTS.: Mag sein, dass das
schwachsinnig ist, aber so ist das Leben nun einmal manchmal. Der
gesellschaftliche Durchbruch des Relativismus ist ganz eindeutig als
eine gut gemeinte, aber verheerende Reaktion auf den „Fall Auschwitz“
im Rahmen gegenwärtiger Erinnerungskultur zu interpretieren. Und in
diesem postmodernen Gesamtklima beginnt nun die Rechte in Frankreich
und Deutschland in den 1960er und 1970er Jahren Autoren wie
Wittgenstein oder die Autoren des Wiener Kreises zu rezipieren und ein
postmodernes, kulturrelativistisches Weltbild von rechts zusammen zu
basteln. Jedenfalls im Feld des Politischen bedient sich die „Neue
Rechte“ also, das wäre die Gegenthese, der vermeintlichen
Errungenschaften der postkritischen Linken, um diese faktisch mit ihren
eigenen Waffen zu schlagen. Während Hitler also noch gegen die Moderne
anrannte, beruft sich die zeitgenössische Rechte auf den Relativismus,
um sich so unangreifbar zu machen. Noch einmal zugespitzt: Sie haben
damit Recht, dass der Relativismus lange vor dem Zweiten Weltkrieg um
sich greift, auch in der Antike gab es ja bereits entsprechende
Debatten. Selbst der Marxismus ist durch und durch
wahrheitsrelativistisch, dazu muss man nur die einschlägigen Texte von
Marx und Engels zur Hand nehmen. Aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg
kommt es quasi durch einen katalytischen Prozess zu dessen
gesellschaftspolitischem Durchbruch.
Prof. Flaig: Beide Haltungen sind Zwillinge. Sie
sind Abkömmlinge des Kulturrelativismus des 19. Jahrhunderts. Dabei
scheint mir die Verarbeitung der Shoah zweitrangig, denn die war
zunächst ein sehr deutsches Problem. Wichtiger sind die Debatten um das
Eigenrecht der Kulturen bei der Gründung der UNESCO, als eine ‚deutsche
Ideologie’ – nämlich das Eigenrecht der Kulturen – 1949 bis 1951 in die
Gründungstexte hineinwanderte, forciert von der American
Anthropological Association, motiviert durch den ‚Antikolonialismus’,
gerichtet gegen die universelle Geltung der Menschenrechte, zum Dogma
erhoben mit der UNESCO-Erklärung von Mexico 1986. Lévi-Strauss hat mit
seinem Vortrag ‚Race et Culture’ vor der UNESCO 1971 ein regelrechtes
Manifest des Ethnopluralismus vorgelegt. Die UNESCO trägt letztlich
eine Mitschuld an der neuen Gestalt der neuen Rechten.
ENDSTATION RECHTS.: Dies wirft unweigerlich die
Frage nach dem Verhältnis von Rasse und Kultur auf: Lyotard hält die
Kultur, in der ein Mensch aufgewachsen ist, ebenso wie die Nazis die
biologische Rasse letztlich für ein Gefängnis, aus dem er nicht mehr
ausbrechen kann. Versuchte er es, so schleppte er doch seine Kultur
unentwegt mit sich, weil sie sich in seine Psyche eingeschrieben hat.
Damit werden die kulturellen Grenzen wie seinerzeit die „biologische
Rasse“ zu absoluten Schranken, die einen transkulturellen Übertritt
nicht zulassen und schon gar keinen Universalismus.
Prof. Flaig: Auch nicht den kleinen Schmuggelverkehr an den Grenzen? Ich muss gestehen, ich habe Lyotard nicht in dieser Weise verstanden.
ENDSTATION RECHTS.: Ich halte diese Konsequenz für
zwingend. In „Das postmoderne Wissen“ bestreitet Lyotard die
Möglichkeit einer „Metasprache“, also eines transsubjektiven
Verständigungshorizontes. In „Der Widerstreit“ degradiert er das
Subjekt in sprachphilosophischer Tradition zu einem Durchlaufposten der
sprachlich vermittelten Kultur. In „Postmoderne für Kinder“ stellt er
als Konsequenz dann schließlich die These auf, dass die
Unterschiedlichkeit der Kulturen unüberwindbar sei. Lyotard muss also
alles im Zusammenhang betrachtet, ob er dies nun ausspricht oder nicht,
letztlich von einem mentalen Gefängnis der Kultur ausgehen und genau
deshalb die universale Geltung der Menschenrechte bestreiten.
Prof. Flaig: Das hieße dann aber, die Kultur zu
einer quasi-biologischen Entität zu machen. Das haben die deutschen
Romantiker und auch Herder nicht getan; sie hielten die jeweilige
Kultur für ein Gehäuse, welches der einzelne Mensch auch verlassen
kann, um in einem anderen Gehäuse zu wohnen. Bei Lyotard scheint mir
etwas geistig Katastrophales passiert zu sein: Wenn die Kultur uns
innerhalb einer gewissen Frist so prägt wie das bei Graugänsen passiert
- während der berühmten ‚prägenden Phase’ - , wo ist dann noch der
Unterschied zwischen Kultur und Rasse?
ENDSTATION RECHTS.: Diese Frage müssen diejenigen
beantworten, die sich positiv auf die Postmoderne berufen. In der Tat
scheint dieser Zusammenhang jedoch bei Autoren wie Balibar und Taguieff
zur Rede vom „kulturellen Rassismus“ geführt zu haben. Ethnopluralisten
wie Alain de Benoist attackieren nun genau wegen des angeblichen
mentalen Gefängnisses die Menschenrechte als normativen
„Neo-Imperialismus“, als eine eurozentristische Überheblichkeit. Warum
kann Europa seinen Menschenrechtsdiskurs nicht auf seinen Kulturraum
beschränken?
Prof. Flaig: Weil wir die Sklaverei wieder
einführen können, wenn die Menschenrechte keine universale Geltung
haben sollen. Vergessen wir nicht, dass die Sklaverei ein weltweites
Übel war und überall existierte, dass aber nur die westliche Kultur die
Sklaverei bekämpfte und abgeschafft hat, meistens gegen den massiven
Widerstand der einheimischen Eliten, insbesondere in den islamischen
Gegenden der Welt. Die schlimmste institutionalisierte Entwürdigung des
Menschen ist also nur dann ein Verbrechen, wenn man diese westliche
Errungenschaft – die Menschenrechte - übernimmt. Wer sie nicht
anerkennt, darf seelenruhig weiter versklaven, Sklaven kaufen und
Sklaven halten.
ENDSTATION RECHTS.: Europa muss also an seiner
Menschenrechtskultur festhalten, auch um einen sinnvollen Unterschied
zwischen Maria Theresa auf der einen und Adolf Hitler auf der anderen
Seite machen zu können – auch dann, wenn Länder wie China den
Menschenrechtsdiskurs als Fremdeinmischung klassifizieren? Oder anders:
Während es Zeiten gab, in denen sich die Linke für das
„Selbstbestimmungsrecht der Völker“ eingesetzt hat, ist dies heute ein
Forderung der politischen Rechten, die letztlich auf die Aushebelung
der Menschenrechte abzielt?
Prof. Flaig: Richtig: Wenn jede Kultur das absolute
Recht hätte, zu bestimmen, was ein Verbrechen ist und was nicht, ohne
Rücksicht auf universale Werte, dann wäre Auschwitz kein Verbrechen
mehr. Denn die NS-Kultur hätte demnach das uneinschränkbare Recht
gehabt, selber zu bestimmen, wer ihr Feind war und wie sie mit diesem
Feind verfahren wollte. Nach dem absoluten Eigenrecht einer Kultur kann
es Völkermorde gar nicht geben, sondern nur legitime Vernichtung von
Feinden. Nur durch das Beharren auf der universalen Geltung der
Menschenrechte sind solche Verbrechen überhaupt als Verbrechen
benennbar. Daher die Hilflosigkeit der Linken und das jämmerliche
Gestammel angesichts der Genozide, vor allem in Afrika. Keiner dieser
Genozide ist vom Kolonialismus verursacht. Dort werden alte Rechnungen
beglichen und neue aufgemacht – in der Sahelzone zwischen den
Versklavern und den ewigen Versklavten, anderswo zwischen Nomaden und
Ackerbauern, anderswo zwischen den Herrschaftsgewohnten und den
Unterworfenen, so etwa in Darfur. Zwar soll es ein Verbrechen sein;
aber die Mörder sollen nicht verbrecherisch gehandelt haben. Daher die
dümmlichen Versuche, überall nach der Schuld des Westens zu suchen. Ein
Sündenbock-Denken der primitivsten Art.
ENDSTATION RECHTS.: Sie behaupten also eine
ideologische Konvergenz zwischen (linkem) Multikulturalismus und
(rechtem) Ethnopluralismus. Und Sie halten beide für Geschwister, die
den Relativismus zum Vater haben. Besteht nach Ihrer Auffassung der
einzige Unterschied zwischen beiden darin, dass der Multikulturalismus
die Vielfalt in einem Gemeinweisen preist, während der Ethnopluralismus
ihn auf eine globale Ebene heben will?
Prof. Flaig: So könnte man das sagen. Der
Multikulturalismus wird nur von der so genannten Linken in den
liberalen Gesellschaften vertreten. Außerhalb dieser Gesellschaften
gibt es keinen Multikulturalismus und hat es nie einen gegeben.
Historisch finden sich entweder homogenisierte staatliche oder
parastaatliche Verbände oder aber rigorose Parallelgesellschaften mit
oft brutalsten Hierarchien; der Islam bietet dafür Kostproben. Zwischen
diesen ‚Parallelgesellschaften’ herrscht – bei aller touristisch
wahrgenommenen Nettigkeit - Verachtung, Diskriminierung, Fremdenhass,
um es noch sehr vorsichtig auszudrücken. Der Ethnopluralismus hat – im
Gegensatz zum Multikulturalismus – begriffen, dass ein
multikulturalistischer Zustand langfristig in den Bürgerkrieg einmündet.
ENDSTATION RECHTS.: Das ist starker Tobak, Herr
Professor! Aber bevor ich mich aufrege, würde ich Sie um eine präzise
Definition von “Multikulturalismus” bitten.
Prof. Flaig: Unter “Multikulturalismus” verstehe
ich eine Theorie, nach der völlig unterschiedliche Kulturen in ein und
demselben Gemeinwesen friedlich zusammen leben können, ohne dass sie
über eine gemeinsame und verbindliche ethische und politische Grundlage
verfügen. Diese Position halte ich für hochgradig naiv und fatal. Und
in der gemeinsamen ethischen Basis, die von uns nicht zur Disposition
gestellt werden darf, sehe ich die Menschenrechte.
ENDSTATION RECHTS.: Es geht Ihnen also mit Ihrer Kritik am “Multikulturalismus” nicht um kulturelle Vielfalt, nicht um Alltagskultur etc.?
Prof. Flaig: (lacht) Nein, mir geht es nicht um die
Bratwurst. Ich halte es für problemlos möglich, dass in einem
politischen Gemeinweisen ganz unterschiedliche Kulturen friedlich
zusammen leben. Von mir aus kann Deutschland aus allen “Völkern” dieser
Welt gespeist
werden. Aber das funktioniert nur, wenn die hier lebenden Menschen die
Menschenrechte und unseren demokratischen Rechtsstaat akzeptieren. Und
dies ist in vielen großen Städten auch in Deutschland nicht der Fall.
Mir ist klar, dass da in Mecklenburg-Vorpommern die Uhren etwas anders
ticken. Aber mit Verlaub: Dieses Land ist für die Bundesrepublik nicht
repräsentativ. In Berlin erleben Sie in manchen Stadtteilen objektiv
alltäglichen Rassismus gegen Deutsche. Natürlich ist dies auch ein
Spiegelbild der Unfähigkeit der deutschen Mehrheitsgesellschaft, den
Integrationsprozess erfolgreich zu organisieren. Aber wir entschuldigen
den Rassismus von Deutschen ja auch nicht mit deren sozialer Lage,
warum sollten wir das dann umgekehrt bei Türken tun? Rassismus, also
die ethnisch motivierte Abwertung von Menschen, bleibt Rassismus, egal
welcher Nationalität der Rassist ist.
ENDSTATION RECHTS.: Ich glaube nicht, dass Ihre
These, dass Multikulturalismus zum Bürgerkrieg führe, sprachlich
hilfreich ist. So, wie Sie zwischen zwei Formen des Revisionismus
unterscheiden, würde ich auch zwischen zwei Formen des
Multikulturalismus unterscheiden wollen. In der ersten geht es um die
Bereitschaft zu kultureller Vielfalt auf der Grundlage eines
unverrückbaren ethischen und rechtlichen Konsenses. In der zweiten dann
um Vielfalt als Selbstzweck, bei der alle ethischen Überzeugungen als
gleichwertig und zumindest als gleichermaßen legitim gelten. Diese
Position ist in der Tat inakzeptabel, wird aber doch kaum vertreten.
Prof. Flaig: Das sehe ich nicht so optimistisch.
Ein Ausdruck dieser Ideologie ist doch der jüngste Vorschlag des
Erzbischofs von Canterbury, dass in Großbritannien für Muslime die
Scharia anstelle der nationalen Gesetze gelten solle. Ich halte den
Scharia-Islam für unvereinbar mit den Menschenrechten. Nicht bloß die
Stellung der Frau zeigt das, sondern auch der entwürdigende Zustand der
Dhimmi, der Ungläubigen. Eine Koexistenz der Rechte kann es gar nicht
geben, weil sich sehr schnell die Frage stellen müsste: Gilt bei uns
die Scharia oder gelten die Bürger- und Menschenrechte?
ENDSTATION RECHTS.: Wie dem auch sei. Ihre Kritik am Multikulturalismus zweiter Art ist jedenfalls nicht völkisch motiviert…
Prof. Flaig: Nein.
ENDSTATION RECHTS.: … sondern folgt eher einem republikanischem Modell.
Prof. Flaig: Selbstverständlich.
ENDSTATION RECHTS.: Wenn wir das jetzt einmal von
der theoretischen Ebene auf die politische herunter brechen, stellt
sich automatisch die Frage: Brauchen wir eine politische Leitkultur?
Prof. Flaig: Ja, natürlich benötigen wir die. Diese
Forderung stellte ja seinerzeit Bassam Tibi auf. Er sprach sich damit
für die Verteidigung der europäischen Werte der Aufklärung aus. Die CDU
griff dieses Schlagwort auf und versuchte daraus eine “deutsche
Leitkultur” zu machen. Das war eher die Abteilung Bratwurst. Die
politische Linke in Deutschland hat aber auf diese Debatte geradezu mit
bösartigem Stumpfsinn reagiert. Anstatt die Frage zu stellen, welche
Leitkultur unsere demokratische Gesellschaft benötigt, hat sie eine
Debatte um eine Leitkultur diffamierend und denunziatorisch abgewürgt.
Aber genau das öffnet dem „Multikulturalismus zweiter Art“ – wie Sie es
nennen - Tür und Tor. Es ist doch absurd, dass ausgerechnet die
politische Linke für sich keine Leitkultur reklamiert. Was denn sonst
soll der Humanismus der europäischen Aufklärung, was sonst sollen die
Menschenrechte sein wenn nicht eine Leitkultur?
ENDSTATION RECHTS.: Hätte also die Linke nach Ihrer Meinung aus der „deutschen“ eine “humanistische Leitkultur” machen müssen?
Prof. Flaig: Das wäre sinnvoll gewesen. Stattdessen
hat sie dem Kulturrelativismus gehuldigt. Der Relativismus erweckt
dabei zunächst den Eindruck der Vielfalt und der Toleranz: Alle
Kulturen und kulturellen Ausdrücke sind angeblich gleich viel wert und
gleichberechtigt. Aber damit geraten wir genau in das oben
angesprochene Dilemma: Wenn das auf alle zutreffen soll, dann natürlich
auch auf menschenrechts-feindliche Strömungen, Religionen und
Bewegungen. Wenn es keine unverrückbaren ethischen Normen gibt, die für
alle gelten, wenn alles erlaubt ist, dann kann auch niemand mehr
sinnvoll gegen den Nationalsozialismus argumentieren. Und was gibt es
Blamableres, als dass die Linke keinerlei Argumente mehr gegen Nazis
hat, weil ihr ihre eigenen ethischen Kriterien abhanden gekommen sind –
durch eine radikale ‚Toleranz’, die grundsätzlich kultur-relativistisch
und somit menschenrechtsfeindlich ist?
Die Flaig-Debatte in ganzer Pracht:
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