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In diesem Schulsystem herrscht Angst!

Die meisten Fälle zeigen sehr detailliert auf, wie wenig Raum es in unserem Schulsystem für das individuelle Eingehen auf den einzelnen Schüler gibt.

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Liebe Blogger,

das bisherige Echo auf den Schüleranwalt hat unsere ohnehin optimistischen Erwartungen noch übertroffen. Besonders freut mich, dass sich nicht nur Eltern sondern auch wirklich viele Schüler direkt an mich wenden. Die meisten Fälle zeigen sehr detailliert auf, wie wenig Raum es in unserem Schulsystem für das individuelle Eingehen auf den einzelnen Schüler gibt. Was mir Sorge macht, ist, dass fast alle Eltern und Schüler bevorzugen, dass wir ihre Fälle anonym behandeln. Das macht konkrete Lösungen schwierig. Es zeigt aber vor allem wie viel Angst in diesem System herrscht – und zwar bei Schülern, Eltern und Lehrern.

Es ist auch wenig überraschend, dass unsere Schulen noch weit von Kundenorientierung entfernt sind. Die Tatsache, dass Schüler und Eltern auf einmal beginnen, mit medialer Unterstützung, ihre Bedürfnisse zu artikulieren, löst Befremden oder gar Ablehnung aus. Umso wichtiger ist die Funktion eines unabhängigen Schüleranwalts. Ohne öffentlichen Druck bewegt sich in diesem Land sehr wenig bis gar nichts.

Ein offenes Wort an meine Kritiker:

Mir war natürlich von Anfang bewusst, dass wenn man ein Tabu angreift, mit heftigen Reaktionen (niveaulos, Hetzkampagne, ahnungslos usw.) von jenen rechnen muss, die es sich im alten System gut eingerichtet haben und sich daher von jeder Veränderung bedroht fühlen. Auf diesem Blog wirft man mir vor allem vor, dass ich ein weltfremder Idealist sei, der völlig unrealistische Ansprüche an unser Schulsystem stelle.

Mit dem Vorwurf des Idealisten kann ich sehr gut leben, das war ich tatsächlich immer. So ist auch meine Tätigkeit als Schüleranwalt selbstverständlich ehrenamtlich. Dass ich meine Ideen durchaus auch umsetzen kann habe ich zum Beispiel mit der Sir Karl Popper Schule bewiesen, die heuer ihr 10 Jahresjubiläum feiert und zu den besten Schulen für Begabte in ganz Europa zählt: Dank eines ausgezeichneten Direktors und vieler engagierter Lehrer, die sich einem harten Auswahlsystem stellen mussten.

Zu meinen Forderungen:

Doch nun einmal zu einigen meiner angeblich so „weltfremden“ und „praxisfernen“ Forderungen an unsere Schulen:

Ist es wirklich so vermessen zu fordern, dass 100 Prozent der österreichischen Schüler nach neun Jahren Schule zumindest Lesen und Schreiben können? Derzeit sind 21 Prozent defacto Analphabeten!

Wollen wir uns tatsächlich damit zufrieden geben, dass es vor allem in der AHS Oberstufe nicht möglich ist, das für Prüfungen geforderte Wissen im regulären Unterricht zu lernen? Derzeit braucht jeder zweite AHS Schüler Nachhilfe!

Ist es wirklich die Hauptaufgabe des Lehrers sich als einseitiger Wissensvermittler von Fächern zu verstehen, statt seinen Schülern ein Verständnis des Denkens in den jeweiligen Disziplinen beizubringen? Eine Vielzahl von Studien beweist, dass selbst gute Schüler nicht die grundlegenden Zusammenhänge in Physik, Mathematik oder Geschichte verstehen. Dieses Nichtverstehen der gelernten Inhalte in der Schule macht auch vor den Eltern nicht halt. Letzte Woche hat sich ein Vater nach einer Lesung von mir zu Wort gemeldet und gesagt: „Ich bin Akademiker und im Beruf sehr erfolgreich. Ganz ehrlich, ich verstehe die Schulbücher meiner Kinder nicht.“

In den nächsten Wochen werden wieder ca. 37.000 Schülerinnen und Schüler erfahren, dass sie ihr Klassenziel nicht erreicht haben. Sind sie alle selber Schuld? Vor allem jene von ihnen, und dazu habe ich eine Vielzahl von konkreten Fällen bekommen, die erst nach einem Lehrerwechsel in dem betreffenden Gegenstand auf einmal von guten Leistungen auf „Nicht genügend“ abgestürzt sind?

Sollen weiter Kinder schon am Beginn ihrer Schullaufbahn ständig das Gefühl vermittelt bekommen, dass sie zu dumm für die Schule sind, nur weil sie an Legasthenie oder anderen Lernstörungen leiden? Derzeit werden derartige Probleme oft nach wie vor nicht rechtzeitig in der Volkschule erkannt. Der tägliche Schulbesuch wird dann zu einer Quelle des Leidens für die betroffenen Kinder und deren Eltern, nur weil es keine Zeit gibt genau hinzuschauen!

Mein Rollenverständnis als Schüleranwalt:

Ich werde mich in keine Diskussion über Schulpolitik, Standesinteressen oder Organisationsfragen hineinziehen lassen. Und ich werde mich schon gar nicht vom System vereinnahmen lassen. Ich werde konsequent die Perspektive der betroffenen Schüler und Eltern aufzeigen: Fall für Fall. Nicht als allwissender Experte, sondern als Anwalt der Schülerinteressen. Wann immer möglich werde ich gemeinsam mit dem Kurier-Redaktionsteam versuchen mit dem Unterrichtsministerium konkrete Lösungen zu erzielen. Wo immer das, aus welchen Gründen auch immer nicht möglich erscheint, werden wir das öffentlich machen und nicht locker lassen.

Meine stärkste Waffe ist eine ganz einfache Frage, die ich in jedem Fall, den zuständigen Behörden stellen werde:

Welche Lösung entspricht am besten den langfristigen Interessen des betroffenen Schülers?

Denn die Interessen der Kinder sind bisher sehr oft in Kompetenzdschungel zwischen Bezirksschulbehörden, Landesschulräten, dem Ministerium und den Standesinteressen völlig verloren gegangen – oder haben überhaupt nie eine Rolle gespielt. Die Wahrheit ist ganz einfach: Die Schule hat sich den Interessen und Bedürfnissen der Schüler anzupassen und nicht umgekehrt.

Von positiven Beispielen lernen

In meinem Buch und auch auf meinen Blogs zeige ich immer wieder positive Beispiele von Schulen in Österreich aber auch im Ausland, die versuchen es besser zu machen. Ich erhalte auch immer mehr Zuschriften mit weiteren Beispielen mit der Bitte diese zu veröffentlichen – einem Wunsch, dem ich gerne nachkommen werde. Interessanter Weise lösen meine Positivbeispiele aber ebenfalls Ängste bei einigen wenigen Vertretern des schulischen Status quo aus.

Wenn ich vorschlage an jeder Schule nicht nur einen Turnsaal sondern auch ein Innovations-Laboratorium einzurichten, dann ändert das an der Diskussionswürdigkeit des Vorschlags nichts, dass ich ihn an einer Privatschule erlebt habe. Natürlich sollen wir immer von den besten lernen. Ein Prinzip, dass zum Beispiel in der Wirtschaft, in der Kunst und im Sport schon lange etabliert ist. Daher trete ich auch für einen intelligenten Wettbewerb zwischen den Schulen ein. Engagierte und leistungsorientierte Direktoren und Lehrer fürchten sich nicht vor der Vergleichbarkeit. Im Gegenteil: Sie wollen, dass ihre besonderen Leistungen endlich wahrgenommen und gewürdigt werden.

Ich würde mich sehr freuen, wenn mir Schüler auch die positiven Beispiele schicken, die zeigen, wie sich viele Lehrer mit großem Engagement um ihre Probleme kümmern. Dann kann ich auch die vielen Freunde des talentierten Schüler vorstellen.

Andreas Salcher


3 Kommentare zu "In diesem Schulsystem herrscht Angst!"
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  1. Konrad I.

    Exakt das ist das Problem: In diesem Schulbetreib herrscht Angst! Der Grudn dafür ist, dass der Schüler praktisch keine Rechte hat und Freiwild für den Lehrkörper wird, der sich noch von der Schulaufsicht bestätigt sieht. Daehr muss die Schulgesetzgebung um einen exakten Instanzenzug ergänzt werden, der Beschwerdeführern eine rechtlich überprüfbare Entscheidung zusichert. Dem Grunde nach ist dies die Forderung nach Erfüllung der Menschenrechtskonvention, die auch für Schüler, egal ob minderjährig oder großjähirg zu gelten hat. Hinzu hat eine regelmäßige Überprüfung des Lehrbetriebes zu treten, die sich sowohl auf die Überprüfung des vorgetragenen Stoffes und der eingesetzten didaktischen und pädagogischen Mittel erstreckt als auch auf die Überprüfung der laufenden Aufzeichnungen des Lehrers hinsichtlich der Benotung incl. der Mitarbeit - und diese Aufzeichnungen können sich nciht auf ein bloßes Ziffernsystem (1-5/+ od. -) beschränken.
    Gehn wir´s an...

  2. Michael B.

    Nun ich kann hier vielen Aussagen des Schüleranwalts folgen, doch ist es nicht eine seiner Grundaussagen, dass die Begabung der Schüler gefördert werden soll. Dies widerspricht dem hohen Anteil an Analphabeten, da die Schüler scheinbar keine Begabung für Schreiben und Lesen mehr haben. Schlägt uns hier die Evolution ein Schnippchen und drängt uns bzw. unsere Kinder in eine "Dummheits"-Falle?
    Meine zweite Theorie ist jene die dazu führt, dass durch die Förderung von Talenten, ein zu hoher Anteil in Einzelsegmenten (Zufall oder ähnliches - Von 100 Schülern sind vielleicht 100% in Mathematik talentiert, der Rest bleibt auf der Strecke?!?) davon entstehen kann. Wer oder was bringt diese Situation wieder ins Gleichgewicht? Sollten wir nicht gleich jetzt daran denken und die notwendigen Maßnahmen bzw. Vorkehrungen treffen. Fazit: Es werden uns die Nachhilfestunden für andere Lernfächer nicht erspart bleiben, solange wir universelles Wissen weitergeben möchten......

  3. Michael S.

    Bei aller möglicherweise berechtigter Kritik an Herrn Salcher möchte ich festhalten, dass es gut ist, dass über das Thema Schule einmal so tiefgreifend diskutiert wird. Er hat meiner Ansicht den Begriff des "Katastrophenlehrers" geprägt, und das ist sehr wichtig, weil sich Katastrophenlehrer entweder selbst verbessern/therapieren/weiterentwickeln sollten oder man sie aus jeglichem Umgang mit Minderjährigen verbannen sollte -- sie richteten bereits große Schäden an. Während es Wissenschaftsminister Hahn teilweise nicht für erforderlich hält unser Schulsystem zu verbessern, hat sich Herr Salcher dieses zum Ziel gesetzt und verfolgt das im Gegensatz zu unserem Wissenschaftsminister in guter Zusammenarbeit mit der Bildungsministerin. Auch, dass er Wert darauf legt, dass die fundamentalen Zusammenhänge in den Wissensgebieten von Schülern verstanden werden und dass er es sich zum Ziel gesetzt hat die Zahl der Analphabeten runterzudrücken, halte ich für sehr gut. Es war höchste Zeit.

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Artikel vom 13.05.2008, 10:58 | KURIER | Andreas Salcher

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