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16.05.2008    16:47 Uhr Drucken  |  Versenden  |  Kontakt
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EU und Lateinamerika

Das Modell Lula

Laut UN lebt jeder Zweite der 550 Millionen Lateinamerikaner in Armut - doch die Lösung liegt nicht in Verstaatlichungen. Die Europäer müssen Lateinamerika dabei helfen, eine soziale Marktwirtschaft aufzubauen.
Ein Kommentar von Peter Burghardt

Nun staunt auch das Bundeskanzleramt darüber, wie sich Lateinamerikas Politiker verändert haben. Erst wundert man sich über Venezuelas Hugo Chávez, der bevorzugt im roten Hemd seine Show abzieht und gerade auch Angela Merkel ins Heer seiner Feinde aufnahm. Der frühere Fallschirmjäger macht sich einen Spaß aus seinen Duellen mit den Weltmächten, aber Chávez spricht vielen Menschen in der Region aus der Seele. Da sollte sich Berlin nicht täuschen.

Beim Gipfel in Lima trifft Europa außerdem auf Exoten wie Boliviens Sozialistenführer Evo Morales, früher Kokagewerkschafter und erster indigener Staatschef des indianisch geprägten Andenlandes. Oder auf den vom Vatikan abgestraften Armen-Bischof Fernando Lugo, der demnächst Paraguay regiert. Einzig in Kolumbien und Mexiko, wo die Drogenmafia wütet, sind noch konservative Staatschefs am Werk. Ohne sie driftete der Subkontinent nur noch nach links.

Für die Europäer ist das befremdlich und faszinierend zugleich. Finstere Diktatoren wie Augusto Pinochet sind verschwunden, die Demokratie hat zwischen Rio Grande und Feuerland interessante Typen an die Macht gespült. Einige von ihnen benützen Modebegriffe wie Freihandel als Schimpfwörter und loben den Sozialismus, der in Europa längst untergegangen ist.

Die Bilder der Rebellenikone Ché Guevara sind in La Paz oder Quito mehr als Schmuck in WGs oder auf Demonstrationen. Die alte Welt erinnert sich wehmütig bis irritiert an die 68er, ihre Protagonisten von einst sind grau geworden. In weiten Teilen Lateinamerikas hingegen sind die 68er vier Jahrzehnte später in vollem Gange, und der alte Fidel Castro hat viele Freunde.


Die Gründe dafür kann auch Merkel besichtigen, obwohl sie linke Hochburgen wie Caracas meidet. In Peru zum Beispiel: Zwar boomt das Land dermaßen, dass sogar Investmentbanker begeistert sind. Aber die Elendsviertel wuchern weiter. So ist es fast überall, auch im vermeintlichen Modell-Staat Chile. Angesichts der hohen Rohstoffpreise erlebt Lateinamerika chinesische Wachstumsraten, theoretisch sind Länder wie Argentinien reich.

Doch es profitiert nur eine Minderheit. Laut UN lebt jeder Zweite der 550 Millionen Lateinamerikaner in Armut. Wohlstand kommt bei den Massen kaum an. Zehn Prozent der Einwohner besitzen 50 Prozent des Vermögens. Nicht zufällig ist Mexikos Telekommunikations-Tycoon Carlos Slim der mindestens zweitreichste Mensch der Erde.

Viele Privatisierungen haben enttäuscht, deshalb haben Chávez und Morales bei ihren Wählern mit Verstaatlichungen Erfolg. Deshalb tobt jetzt ein Machtkampf zwischen Regierungen und Unternehmern oder Großgrundbesitzern, Bolivien könnte daran zerbrechen. Die sogenannten Linkspopulisten predigen Nationalismus und alternative Wirtschaftsgemeinschaften statt zollfreien Handel.

Das muss nicht gut sein. Pragmatiker wie Brasiliens Schwergewicht Luiz Inácio Lula da Silva fahren mit ihrer Wirtschaftspolitik viel besser, obwohl auch dieser Fortschritt seinen Preis hat - der Regenwald verschwindet. Europa hat Lateinamerika lange keine Beachtung geschenkt, während China längst Stahl, Soja und Öl kauft und die USA sich um bilaterale Verträge bemühen.

Die EU sollte das lange vergessene Lateinamerika wieder ernst nehmen, trotz seiner Merkwürdigkeiten. Sie sollte auch Venezuela und Kuba zumindest so behandeln wie China. Die EU ist für viele Lateinamerikaner im Lichte von Kolonialgeschichte und Immigration ein natürlicher Partner.

Die EU kann helfen, Erziehungs- und Gesundheitswesen zu stärken. Und sie müsste ihre Zollschranken fallen lassen und Agrarsubventionen abbauen, statt Freihandel nur zu predigen. Soziale Marktwirtschaft wäre das Ziel für Lateinamerika, Lula schafft das ansatzweise. Solange das anderswo nicht gelingt, wird man sich mit Querulanten wie Hugo Chávez abfinden müssen.


(SZ vom 17.05.2008/aho)

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Leserkommentare (1)



16.05.2008 17:45:48

rellama:

Latein Amerika hat 2 Apokalypsen erlebt, Die Europäer und die Amerikaner, Die kommen nie mehr hoch, Alles was dort gedeiht sind Kirchen und Aberglaube.


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