Oktober 2004
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Die CD als Galerie
Das Frankfurter Label Whatness

Aram Lintzel

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In den neunziger Jahren wurde das Crossover zwischen Kunst und Popmusik zwar etwas strapaziert. Das Frankfurter Label Whatness beweist nun aber mit verschiedenartigen CD-Produktionen, dass es noch immer fruchtbar sein kann, Grenzen zu überwinden. Kunst bietet hier auch neue Weg aus dem Minimal-Techno-Gehege.

In der Geschichte von Avantgarde und Pop hat es immer bildende Künstler gegeben, die sich mit Musik befassten - und Musiker, die in der Kunst aktiv waren. Dadaisten und Futuristen erweiterten ihren Aktionsradius auf das Klangliche, in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts verknüpften Komponisten wie Morton Feldman und John Cage visuelle mit musikalischen Ausdrucksformen. Später erfand der Pop-Art-König Andy Warhol mit Velvet Underground eigens eine Rockgruppe; Bryan Ferry von Roxy Music studierte bei dem Pop-Künstler Richard Hamilton. In den neunziger Jahren weiteten sich die entsprechenden Kontaktflächen zwischen Bild- und Klangkunst radikal aus: Im Zeichen von sogenanntem Crossover sollten die verbliebenen Grenzen zwischen den ästhetischen Territorien aufgebrochen werden. Plötzlich wurden Vernissagen von DJ beschallt, gleichzeitig nahmen bildende Künstler offensiv die DJ-Techniken des Mixens und Sampelns für ihre Arbeit in Anspruch - nicht zuletzt, weil viele die Leinwand gegen den Laptop ausgetauscht hatten.

Kontext- und Medienwechsel

Mittlerweile ist das Pathos des Crossover einer eher nüchternen Haltung gewichen. Kaum jemand verspricht sich von diesem Kontext- und Medienwechsel noch die Umwertung aller ästhetischen Werte. Ein gutes Beispiel für den kleinformatigen, weniger prätentiösen Gestus der Gegenwart ist das Frankfurter Kunst-/Musik-Label “Whatness”. 1999 von dem Musiker Ekkehard Ehlers und dem Grafik-Designer Markus Weisbeck gegründet, versteht sich das Label als eine “Audiogalerie”: “Die Idee des Labels war es, eine eigene Galerie zu gründen und mit bildenden Künstlern zu kollaborieren”, sagt Markus Weisbeck ohne jegliches Welteroberungsgehabe. Den sogenannten Galerieraum bildet also die CD. “Jede 'Ausstellung' soll von zwei unterschiedlichen Genres bespielt werden”, so Weisbeck. Meist sind dies bildende Kunst und elektronische Musik, aber auch poetisch anmutende Textbeilagen finden sich auf den CD.

Soeben erschien die siebte Whatness-CD, auf der Künstler/Musiker wie Liam Gillick, Michaela Melián und Albrecht Kunze Tonmontagen des 1968 mit 23 Jahren verstorbenen Künstlers Peter Roehr improvisatorisch bearbeiten - und gelegentlich mit rhythmischen Körperstimulanzien versehen. Als eine Art “visueller Kurator” (Weisbeck) für die auf CD gebannte Audiogalerie fungierte der namhafte Frankfurter Künstler Thomas Bayrle; er war mit Peter Roehr befreundet und steuerte das Cover-Artwork bei. Nicht nur hier werden Musik und Kunst eher über persönliche Vorlieben eingeladener Künstler und CD-Kuratoren verlinkt als durch aktuelle Trends. Weisbeck, der selbst einige der Alben grafisch gestaltet hat, nennt es einen “spielerisch kuratorischen Umgang”.

So wird das Spektrum in unterschiedlichste stilistische Richtungen geöffnet. Es reicht von Ekkehard Ehlers melancholisch schwelgenden Streicherarrangements für ein Ballettstück des Choreografen William Forsythe über Adam Butlers klassizistische Piano-Improvisationen bis zum abstrakt karikierten Design-Trip-Hop des Künstlers und Musikers Liam Gillick. Fast esoterisch wird es, wenn Joseph Suchy auf einem harfenartigen Objekt der Künstlerin Kirsten Pieroth naturalistisch anmutende Geräuschmusik erzeugt, ein bisschen klubtauglich hingegen bei Frank Bretschneiders flüchtigen Beats, die als Klangkommentar zu den archaischen Landschaftsfotos von Olafur Eliasson verstanden werden wollen.

Das Highlight der Whatness-Veröffentlichungen ist aber “Mein Kopf verlor ein Dach” von “Marc Ushmi meets Reverend Galloway on Ernst Busch”: Der amerikanische Sänger und Tänzer Stephen Galloway singt hier Revolutionstexte des kommunistischen Barden Ernst Busch über zappelige Deep-House-Grooves - jedoch ohne die Bedeutung der Texte so recht zu verstehen. Die Darbietung schwimmt denn auch hilflos einem unerreichbaren Sinn hinterher. Wir hören absurde Tanzmusik - lost in translation. Markus Weisbeck begründet die Vielfalt der Stile wie folgt: “Bei Whatness geht es um künstlerische Versuche, nicht um eine klare Corporate Identity, die sich in einem Pop-Diskurs verorten liesse.” Dass die CD aufgrund ihres attraktiven Outfits auch in Berliner Hip-Boutiquen ausliegen, ist da wohl eher ein angenehmer Nebeneffekt denn schlau eingefädelte Strategie.

Ausbruch aus dem Minimalismus

Die Projekte auf Whatness lassen die verschiedenen Codes von Musik, Bild und Text gleichberechtigt koexistieren - gleichwohl ist das Ergebnis kein in sich geschlossenes Gesamtkunstwerk, in das man ungestört eintauchen kann. Whatness baut eine “unscharfe Brücke zwischen den Genres” (Weisbeck) - deshalb werden Brüche zugelassen, bei aller Vermischung und Verknüpfung bleiben Leerstellen bestehen. Darin unterscheidet sich die Whatness-Ästhetik vom gängigen Ambient- und Lounge-Design: Statt wohlig geschmierter Synästhesie entsteht ein verschachtelter Klang- und Bildraum, in dem sich - so schreibt es William Forsythe in einer der Textbeilagen - eine “aural vision”, eine Art “Hörsicht”, entwickeln kann. Tatsächlich stellt sich dieser Effekt, bei dem die Musik plötzlich bildhafte Qualitäten anzunehmen scheint, immer wieder überraschend ein.

Gegen Spezialisierungen und Trennungen setzen die Whatness-Macher auf eine Vervielfältigung der Autorenschaften, Medien und Kompetenzen. Jedoch handelt es sich um mehr als eine audiovisuelle Frischzellenkur in Zeiten musikalischer Ideendürre. Was hier aufgezeigt wird, ist ein produktiver Ausbruch aus den verengten Strukturen eines prüden elektronischen Minimalismus: Die schiere Selbstreferenz einer “Musik ohne Aussen” wird durch künstlerisch-visuelle Gegenstrategien aufgebrochen, ohne dass darunter der konzeptuelle Ansatz leidet. Er wird eben bloss nicht mehr prätentiös übersteigert wie in anderen Produktreihen elektronischer Minimal-Musik. Bei den Kollaborationen auf Whatness gibt es stets eine widersprüchliche Spannung, welche alle Register der Wahrnehmung herausfordert, anstatt sie unnötig zu verknappen.


Diverse: on Peter Roehr (Whatness).
www.whatness.de



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