Mittelalter
Priester Johannes und die Suche nach dem Chaldäischen  
Im Mittelalter wurde die äthiopische Region in der deutschen Literatur zumeist „India“ bzw. „Minor India“ genannt. Wolfram von Eschenbach hatte im frühen 13. Jahrhundert seinen Parzival vermutlich der äthiopischen Legende von der Königin Saba entlehnt. So gesehen erscheint der Kralsritter Parzival als Onkel des Priesterkönigs Johannes aus „India“.

Im 15. Jahrhundert resultierten die äthiopienbezogenen Informationen in den Arbeiten der Morgenlandfahrer Siebald Ritter aus Nürnberg und Bernhard von Breydenbach aus Mainz aus Kontakten mit dem äthiopischen Kloster in Jerusalem. Die Orientwissenschaften entwickelten sich aus den frühen Äthiopienstudien deutscher Gelehrter und sind von daher im eigentlichen Sinne als Zweig der Bibelforschung zu betrachten. Die Existenz eines christlichen Volkes im fernen Süden, das womöglich von einem biblischen Volk herstammte, gab Anlass zu Spekulationen, ob in deren Sprache möglicherweise sprachliches und kulturelles Erbe der biblischen Väter zu entdecken sei. Als deutsche Theologen die ersten Beispiele der Gi’iz-Schrift und später die ersten äthiopischen Manuskripte zu sehen bekamen, hofften sie, das „verlorene“ Chaldäisch wiederentdeckt zu haben. Der Kölner Johannes Potken, der das Gi’iz in Rom bei abba Tomas von Wedebba studiert hatte, publizierte 1513 die äthiopische Version der Davidslieder in der Annahme, dass es sich hierbei tatsächlich um einen chaldäischen Text handele.