Abschlusspodium
Podiumsdiskussion am 30.11.2004: Was bedeutet das Gehörte für das Handeln in der internationalen Zusammenarbeit?  

Teilnehmer:
MinDir Dr. Wilfried Grolig, Leiter der Abteilung Kultur und Bildung im Auswärtigen Amt
MinDir Adolf Kloke-Lesch, Leiter der Unterabteilung Frieden und Demokratie, Menschenrechte, Vereinte Nationen im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Wolfgang Müller-Pietralla, Leiter Zukunftsforschung Volkswagen AG

Moderation: Roger de Weck

 

Herr de Weck begrüßt die Konferenzteilnehmer und stellt MinDir Dr. Grolig, MinDir Kloke-Lesch und Herrn Müller-Pietralla vor.

Er konfrontiert zunächst Herrn Kloke-Lesch mit der These, dass der Westen mit einer Hand gebe und mit zwei Händen zurücknehme.

MinDir Kloke-Lesch weist dies zurück mit dem Argument, dass Entwicklungszusammenarbeit heute kein reiner Transfermechanismus, sondern ein Dialogprozess sei, der auf Veränderungen, zum Beispiel auf dem Agrarmarkt, abziele.

Herr de Weck fragt erneut, ob man denn beim „Nehmen“ auch genug ändere?

MinDir Kloke-Lesch spricht sich gegen eine simplifizierende Kritik an der Globalisierung aus. Vielfach seien Missstände auf innere Faktoren, wie autoritäre Herrschaftsverhältnisse, zurückzuführen. Die Schuld für Armut liege dementsprechend nicht nur beim Norden, sondern auch vor Ort. Zudem werde der Fortschrittsbegriff heute auch in Europa stark hinterfragt. Ziel sei es, Prozesse zu finden, in denen jeder einzelne seinen Fortschritt leben kann.

Herr de Weck richtet das Wort an Herrn Müller-Pietralla mit der Frage, was Fortschritt für ihn bedeute, und ob der Westen von indigenen Völkern lernen könne.

Herr Müller-Pietralla antwortet, dass Fortschritt für ihn auch „das Leuchten der Augen von Angestellten“ sei, wenn bewundernswerte Innovationen gefunden werden. Insgesamt müsse jedoch klar sein, dass Technik kein Allheilmittel sei. Es müsse vor allem nach dem Sinn der Technik gefragt werden.

Herr de Weck fragt zurück, ob mit der Technik auch die Mentalität ihrer Erfinder transportiert werde und vom Empfänger angenommen werden müsse.

Herr Müller-Pietralla bejaht dies: Technik transportiere auch Kultur, die dann teilweise angenommen würde. So würden die Europäer auch etwas von Japan annehmen, wenn sie japanische Produkte kaufen. Allerdings erscheine unklar, ob diese Annahme dauerhaft oder kurzfristig sei. Die europäische Kultur werde dadurch wohl nicht unbedingt verändert.

Als nächstes stellt der Moderator MinDir Dr. Grolig die Frage, wieso wir im Westen das Gefühl haben, unsere Werte plötzlich hinterfragen zu müssen.

MinDir Dr. Grolig antwortet, die Welt sei kleiner geworden, so dass andere Wertvorstellungen stärker ins Bewusstsein gerückt seien und eine Debatte um den Fortschrittsbegriff neue Dimensionen aufzeige. Immerhin gebe es grundlegende Werte und Auffassungen, wie die Menschenrechte, die universell gelten sollen.

Der Moderator erklärt die Einführungsrunde für beendet und lädt die Teilnehmer der Länderkonferenzen aufs Podium ein.
Zunächst gibt Frau Cajías zu bedenken, dass es aus ihrer geografischen Perspektive unlogisch erscheine, vom „Westen“ zu sprechen. Zudem ist Fortschritt für sie nicht linear und auch nicht automatisch positiv. Aufgrund verschiedener Wahrnehmungen hält sie es für schwierig, sich auf einen gemeinsamen Begriff zu einigen. Sie spitzt ihre Anmerkungen auf die Frage zu, warum die gutgemeinte deutsche Entwicklungszusammenarbeit in Bolivien nur sehr wenig bewirkt habe. Dabei verweist sie darauf, dass für eine fruchtbarere Entwicklungszusammenarbeit die Geschichte und die Traditionen der jeweiligen Partner stärker berücksichtigt werden müssten.

Herr Müller-Pietralla erläutert, dass in Markt- und Trendforschungsprozessen versucht werde, die Kunden vor Ort zu verstehen. Dennoch ergäben sich immer wieder kulturell bedingte Probleme, da die Produktentwicklung sehr westlich, beziehungsweise deutsch, ausgerichtet sei. Als Beispiel nennt er die Notwendigkeit, amerikanische Autos mit einer Halterung für Trinkbecher auf dem Rücksitz auszustatten.

Moderator de Weck bittet darum, zum Thema zurückzukehren und fragt nach der Rolle der BRD. MinDir Kloke-Lesch spricht von einer sehr guten deutschen Entwicklungszusammenarbeit in Bolivien. Daraufhin fragt der Moderator nach konkreten Problemen bei der deutschen Arbeit in Bolivien. Für MinDir Kloke-Lesch gibt es zwei Probleme. Zunächst nennt er begrenzte finanziellen Möglichkeiten und zweitens einen falschen Entwicklungsbegriff. Mit dem Verweis auf die transitive und die intransitive Form des Verbs „entwickeln“ kritisiert er, dass Entwicklungszusammenarbeit noch zu oft als ökonomischer und technischer Implementierungsprozess gesehen wird („etwas entwickeln“). Stattdessen sollten die Menschen ihren Weg selbst definieren können („sich entwickeln“).

Frau Raghuram bescheinigt der Entwicklungszusammenarbeit auch große Erfolge. Diese hätten immer dann stattgefunden, wenn Dialog als partnerschaftliches Instrument genutzt worden sei; hierbei könne man vom „corporate sector“ viel lernen.

Dem schließt sich die Frage des Moderators an MinDir Dr. Grolig an, wie aktive Partnerschaft zwischen dem Westen und seinen Partnern in der auswärtigen Kulturpolitik praktiziert wird. MinDir Dr. Grolig antwortet, dass den Partnerländern Angebote gemacht würden, die keine Einbahnstraße seien. Es handele sich vielmehr um einen Merger-Prozess, in dem sich beide Partner während der Zusammenarbeit verändern würden. Als Beispiel nennt er eine Weiterentwicklung des deutschen Hochschulsystems, die auch in Gang gekommen sei, um ausländische Studierende anzuwerben.

„Fortschritt dank Partnerschaft“ wirft der Moderator ein und gibt das Wort an Herrn Prof. Kutscha. Dieser fragt nach der Rolle des Völkerrechts und danach, ob dieses sowie die sozialen Grundrechte nur „Verfassungslyrik“ für die Politikmacher seien. Warum etwa habe Deutschland noch nicht die revidierte europäische Sozialcharta unterschrieben? Demgegenüber weist MinDir Dr. Grolig auf die Verbindlichkeit des Völkerrechts für die BRD hin. Auch MinDir Kloke-Lesch bestätigt die Bedeutung von sozialen und wirtschaftlichen Rechten. Die Millenniums-Erklärung versteht er als Ausbuchstabierung dieser Rechte, die eine Umsetzung ermöglich soll. Er fügt hinzu, dass das Völkerrecht nicht nur gültig, sondern auch neuen Herausforderungen gewachsen sei.

Dr. Gilmanow möchte wissen, ob ähnlich der Trendforschung in Unternehmen auch kultureller Fortschritt prognostiziert werden kann. Angesichts neuer Kommunikationsformen wie der SMS fragt er sich, ob es objektive kulturelle Folgen des technischen Fortschritts gibt und ob sich diese erforschen lassen.

Herr Müller-Pietralla antwortet, dass die alleinige Entwicklung von Technik nicht ausreiche. Es sei unumgänglich, auch gesellschaftliche Fragestellungen zu erforschen. Allerdings sind Prognosen nur in einem begrenzten Maß möglich, so dass lediglich verschiedene plausible Szenarien entwickelt werden könnten.

Der Moderator fragt nach, ob Volkswagen davon ausgehe, dass der Kunde in Lateinamerika denselben Wagen möchte wie der in Asien. Dies wird von Herrn Müller-Pietralla dahingehend beantwortet, dass es einen „kulturell hybriden“ Menschen gebe, dass aber die Sehnsucht nach Heimat, Tradition und einem Gefühl der Sicherheit weltweit im Anstieg begriffen sei.

Der Einwurf des Moderators, ob Herr Gilmanow ein kulturell hybrider Mensch werden wolle, sorgt für Heiterkeit. Herr Gilmanow antwortet seinerseits scherzhaft, dass er seine Familie durch eine schlechte Fernsehantenne zum Lesen stimuliere.

Herr de Weck stellt die These auf, dass es zur Zeit mehrere Fundamentalismen gebe, darunter auch einen westlichen Technikfundamentalismus. Er fragt, ob dieser – wenngleich nicht terroristisch wie ein Teil des islamischen Fundamentalismus - auch gewalttätig sei. MinDir Dr. Grolig hält es jedoch für schwierig zu behaupten, dass wir selbst fundamentalistisch seien ohne es zu wissen, da wir uns nicht von einer Metaebene sehen können. Zudem ist er der Auffassung, dass allein die laufende Konferenz von Selbstreflexion zeuge, wie sie Fundamentalisten nicht zueigen ist. Herr Müller-Pietralla weist darauf hin, dass man die Technologieproduktion ausschließlich auf die Bedürfnisse der Kunden zuschneide – entweder also seien alle „Technikfundamentalisten“, oder keiner.

Der Moderator wendet sich an MinDir Kloke-Lesch bezüglich der verbreiteten Kritik, dass der westliche Fortschrittsbegriff Muße und Glück beseitige. MinDir Kloke-Lesch kann diese Kritik nachempfinden. Er bestätigt, dass Fortschritt heute als individuelles Problem gesehen werde und vom Begriff einer technizistische Fortschrittsinterpretation Abstand genommen werden müsse. Dies sei teilweise bereits geschehen.

Herr de Weck bringt den Begriff der Nachhaltigkeit auf und weist darauf hin, dass fast zeitgleich der Terminus des Shareholder Values aufkam, der in seiner Quartalsorientierung eine verkürzte Denkweise darstellt. Auf diesen Widerspruch hingewiesen entgegnet Herr Müller-Pietralla, dass allein die Entwicklung von Technologien zehn bis 25 Jahre in Anspruch nimmt, so dass von einer reinen Quartalsorientierung keine Rede sein könne. Zudem werde auch der Zusammenhang von Sinn und Produkt stets diskutiert.

Herr Prof. Sabila äußert sich zur Rolle Deutschlands in der Entwicklungszusammenarbeit. Seiner Meinung nach kann die deutsche Politik eine vermittelnde Rolle zwischen den Kulturen spielen.

Der Moderator hakt nach und fragt nach den besonderen „Trümpfen“ Deutschlands in dieser Hinsicht.

MinDir Grolig verweist auf eine eher europäische Dimension, die hilfreich sein könne. Aufgrund der leidvollen Erfahrung in Europa sei die heutige europäische kulturelle Identität durch friedliche Konfliktlösungsmechanismen geprägt. Das sei ein europäischer „Trumpf“. Konflikte würden nicht mehr durch Gewalt, sondern durch Interessenausgleich gelöst. So könnte Deutschland mit seinen europäischen Partnern zum Frieden beitragen.

Laut Herrn de Weck hofft der Westen sehr auf einen Reformschub im Islam. Er stellt die Frage an Herrn Prof. Sabila, ob solche Hoffnungen begründet sind, oder ob es sich eher um westliche Naivität oder gar einen Übergriff handelt, wenn Derartiges gefordert wird.

Herr Prof. Sabila fordert sowohl den Westen als auch den arabischen Raum zu einem Politikwechsel und zu Dialogbereitschaft auf. Er geht davon aus, dass der Islam einen Beitrag zur Entwicklung leisten und die Moderne akzeptieren könne. Allerdings müsse er sich dazu zunächst selbst reformieren, denn jetzt würden die arabischen Gesellschaften stagnieren. Allerdings sieht Herr Prof. Sabila auch einen innergesellschaftlichen Machtkampf zwischen den konservativen Kräften und einer intellektuelle Elite, die für Reformen kämpft. Obwohl sich die Mehrheit der Gesellschaft einer modernen Kultur verschließe, so ständen doch immerhin der Staat, seine Armee und seine Verwaltung im Zeichen der Moderne.

Herr Songal stellt daran anknüpfend die Unterscheidung Ost/ West in Frage und schlägt vor, die Gewaltbereiten von den Friedfertigen zu unterscheiden.

MinDir Dr. Grolig fügt hinzu, dass es viele gewalttätige Konflikte gab und gibt, dass aber auch viele Konflikte ohne Gewalt gelöst wurden. Das Beispiel Südafrika habe hier ebensoviel Mut gemacht wie die Vereinigung Europas. Er hält es für einen politischen Imperativ, das „Glas in dieser Hinsicht als halbvoll zu betrachten“. Insofern solle auch die UNO nicht nur kritisiert werden, sondern auch ihre Leistungen Würdigung erfahren.

Aus Unternehmenssicht können laut Herrn Müller-Pietralla Konflikte durch gemeinsames Arbeiten umgangen werden. So hätten zum Beispiel Standorte in China gezeigt, dass schon das Erlernen fremder Sprachen einen intensiven kulturellen Austausch bedeute. Fortschritt könne so für alle durch gemeinsames Arbeiten entstehen.

Herr Tjivikua kritisiert die Einteilung der Welt nach wirtschaftlichen Maßgaben statt nach kulturellen Aspekten. Er weist ausdrücklich darauf hin, dass er seine Traditionen beibehalten und kulturell nicht als Empfänger behandelt werden möchte. Zudem nennt er fünf „Hände der Globalisierung“. Diese sind für ihn: Kolonialisierung, Ausbeutung, konditionierte Entwicklungshilfe, geistiges Eigentum, das ausgebeutet wird, ohne dass die lokale Gemeinschaft davon profitiert, sowie technologischer und kultureller Zwang.

MinDir Kloke-Lesch befürwortet in diesem Zusammenhang eine stärkere Kooperation mit der Zivilgesellschaft. So wurde nach dem 11. September 2001 festgestellt, dass in arabischen Partnerländern fast kein Austausch mit gesellschaftlichen Organisationen stattfand, da die deutschen Beteiligten keine Partnerorganisationen in Betracht gezogen hatten, die nicht dem typischen (christlichen) Bild entsprachen. Daraus wurde gefolgert, dass alle relevanten Akteure, gleich ihrer kulturellen Eigenschaften in den Dialog einbezogen werden müssten. Bildung müsse in den jeweiligen Muttersprachen gefördert werden. Ein erfolgreiches Projekt sei in Sri Lanka durchgeführt worden. Dort wurde erstmals ein gemeinsames Schulbuch in drei Sprachen veröffentlicht.

Das letzte Wort geht an Herrn Prof. Munshi. Dieser konstatiert, dass jede Gesellschaft selbst für sich verantwortlich sei. Bezüglich des Lernens aus der Geschichte nennt er Deutschland als hervorragendes Beispiel, aus dem man u. a. lernen könne, dass (1) „Leute in kleinen Städten große Dinge denken“ könnten, dass (2) exzessiver Nationalismus sich gegen sich selber kehre und dass (3) industrielle Innovation das Bild eines Landes grundlegend prägen könne.

Die letzte Aussage wertet Herr de Weck als ein gelungenes Schlusswort. Er bedankt sich bei allen, die zum Gelingen der Konferenz beigetragen haben. Es folgen abschließende Worte und ein herzliches Dankeschön von Frau Donner an alle Teilnehmer, Partner und an die Organisatoren der regionalen Konferenzen sowie der Abschlusskonferenz. Die Konferenz endet mit weiteren Danksagungen und einem abschliessenden Empfang.


Kann Kultur die Entwicklung eines Landes hemmen oder vorantreiben? Gemeinsames Projekt der GTZ und des Goethe-Instituts.