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Claus Peymanns "Absurdes Theater"

Der einst umstrittene Burgtheater-Direktor und heutige Chef des Berliner Esembles über die Klage Fritz Muliars und seine noch immmer starke Beziehung zu Österreich

Der Volksschauspieler und der Eliteschauspieler

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Claus Peymann an einem typischen frühen Abend: Der längstdienende Theaterdirektor des deutschen Sprachraums ist wie immer hyperaktiv, ein Termin in seinem Büro jagt den anderen und er im Sauseschritt durch sein quirliges Haus. Der Mann im ewig schwarzen T-Shirt, dem man seine 71 Jahre nicht abnimmt, hält mit handgreiflicher Begeisterung und dem unübersehbaren Ego eigener Bedeutung sein Berliner Esemble als Leuchtturm der Berliner Theaterszene am Blinken: In der künstlerischen Bilanz ist er, allen Kritikern und Neidern zum Trotz, so erfolgreich wie in der kommerziellen. Seine höchste Auslastungsrate aller Berliner Häuser ist angesichts der Kultur- Ignoranz der Berliner schon ein Kunststück für sich. Der Absturz einstiger Konkurrenten, der Castorf’ schen Volksbühne und der Schaubühne in die Banalität scheinrevolutionärer Rituale sowie des Deutschen Theaters nebenan in stilvolle Profillosigkeit, erhöht nur noch weiter die Strahlkraft des BEs und seines unermüdlichen Direktors.

Der ist immer noch sein eigener bester Propagandist. So kontrovers können Fragen gar nicht sein, dass aus dem Interview nicht sofort eine Show würde, deren Dialektik sich immer mehr dem gehobenen Wiener Schmäh nähert (Kongenial nachzulesen übrigens im neuen Buch: „Peymann A-Z“, Verlag Das Neue Berlin, 19,90 €. Ein typisches Zitat unter dem Stichwort Ich und Ich: „Ich halte es nicht aus, allein mit mir“.) Ganz besonders rennt der natürlich bei seinem durch den Streit mit Fritz Muliar wieder aktualisierten Lieblingsthema Österreich.

KURIER: Herr Peymann, Ihre Zitate im neuen Buch beleidigen so ziemlich alle Mitmenschen, die Sie dafür aber „net amal ignorieren“. Sie müssen der Ausnahme Muliar doch dankbar dafür sein, dass er Sie noch Ernst nimmt und für den „Volltrottel“ klagt?
Claus Peymann: Fritz Muliar war, ist und wird auch in Zukunft mein liebster Todfeind sein, auf ihn ist immer Verlass! Wir sind ein gutes Duo, die „Sonnyboys“ des österreichischen Theaters (lacht laut).

Muliar hat Ihr briefliches Versöhnungsangebot öffentlich zurückgewiesen: „Ich lasse mich von dem Rotzbuben nicht beleidigen“. Nun freut sich Österreich auf die Posse eines Neunundsiebzig- und eines Einundsiebzigjährigen vor dem Wiener Bezirksgericht. Ist Ihnen das nicht zu peinlich, als dass Sie sich doch förmlich und glaubwürdig bei dem Gekränkten entschuldigen?
Nein, ich müsste mich nicht entschuldigen, er müsste das auch tun: Er hatte mich als „Goebbels des Theaters bezeichnet“ und das halte ich für mindestens so schlimm wie den „Volltrottel“ oder was auch immer ich gesagt haben mag. Aber ich glaube persönlich ohnehin, dass die ganze Sache verjährt ist. Das ist ja praktisch 20 Jahre her und Muliar ist nicht zart im Zurückgeben. Ich glaube eher, dass es einen amüsanten Vergleich gibt.

Die Verjährung könnte durch die Wiederholung im Buch „Peymann A-Z“ hinfällig sein: Es wiederholt die Beleidigung, Sie gehen damit auf Lesereise und gleich zum Start nach Wien…
(Unterbricht) Ich freue mich, dass der alte Muliar noch so ein alter Kämpfer ist. Ich erinnere mich noch gut ans Akademietheater und ihn im Felix-Mitterer-Stück, das mit Abstand beste, was er in den letzten 40 Jahren gespielt hat. Also bin ich ihm dankbar und ich gehe davon aus, dass auch er mir dankbar zu sein hat. Sofern finde ich uns zwei richtige Bernhard-Figuren, beide alte Kämpfer (lacht), und wenn er mich verklagt, werde ich ihn auch verklagen und dann wird es noch amüsanter, auch für die Rechtsanwälte. Ich hoffe, dass der Streit seinen Kreislauf auf Trab hält, denn das ist das Allerwichtigste für einen 89-Jährigen, vielleicht ist ja der Streit mit Peymann eine gute Medizin für den lustigen Theatergreis Muliar.

Kommen Sie persönlich zur Verhandlung nach Wien?
Wenn es dazu käme, könnte ich das vielleicht mit einer Buchpräsentation verbinden und im Gericht eine Autogrammstunde geben (lacht). Ich habe aber auch Muliar ein Exemplar geschickt mit persönlicher Widmung, damit er sieht, dass ich auch liebevoll über ihn geredet habe. Ich glaube, dass Beschimpfung und Liebeserklärung im Fall Muliar/Peymann oder Peymann/Muliar durchaus die Waage halten.

Erinnern Sie sich überhaupt noch, warum Sie ihn „Volltrottel“ genannt hatten?
Kein Ahnung mehr, wird aber sicher guten Grund gehabt haben (lacht). Er gehörte ja zur „Morak- Fraktion“. Als Morak mich nicht wegputschen konnte als Burgtheater-Direktor ist er zur Politik gangen, und wurde dann auch in trostloser Weise Staatssekretär. Das war ja das feindliche Liebespaar, die Zweckgemeinschaft Morak- Muliar, wobei Muliar erheblich mehr Kaliber hatte als Morak, der einem schon fast wieder leid tut.

Muliar ist doch ein Volksschauspieler und wollte nie mehr als das sein. Was Größeres kann es doch für einen Nach-Nachfolger Brechts an diesem Theater und einen Salonsozialisten wie Sie gar nicht geben?
Ich habe so ein Problem mit dem Volk und dem völkisch, ich finde Muliar ist auch ein Eliteschauspieler. Volksschauspieler ist auch immer ein Blanko für schlampig und für primitiv und platte Witze, davor würde ich Muliar wirklich in Schutz nehmen. Er ist weit mehr als ein Volksschauspieler, er ist ein Vollblutschauspieler, mit allen Schikanen. Und er ist ein Menschenfeind frei nach Raimund und das gefällt mir an ihm. Das Ganze ist doch absurdes Theater und im Grunde herrlich: Muliar hätte in den Theatermachern von Bernhard spielen sollen! Übrigens hätte der fast ein Stück über ihn geschrieben, ich hab’ das gefördert.

Warum wurde daraus nichts?
Kann ich mich nicht mehr erinnern.

"Wien war die Königsetappe meines Lebens"

Sie haben mir mal gesagt, „Wien war die beste Zeit meines Lebens“, ist die Muliar- Affäre ein Versuch, die wieder herbei zu zaubern?
Nein, das ist ja ein Marginalie, eine Petitesse. Nein, das, mein Burgtheater unter Zilk, der ja nun leider gestorben ist, war wirklich das Symbol des zeitgenössischen österreichischen Theaters, das ist es jetzt nicht mehr und ist wieder genauso wie zuvor. Es war meine Chance, diese schöne aber etwas langweilige Stadt Wien in das Heute zu führen, was ja Zilk versucht hat und ihm ja auch gelungen ist. Das Burgtheater war da ein großes Stellvertreter-Schlachtfeld, wo viele der Schlachten zwischen den Konservativen und dem heutigen Wien ausgefochten wurden. Das war eine ganz große Zeit, die Königsetappe in meinem Leben.
Wien ist noch immer eine heimliche Monarchie und ich war froh, dass ich neben dem Kardinal König, mit dem ich auch befreundet war, der Theaterkönig war. Die Österreicher sind ja, vor allem bei Dramatik, Sprache und Musikalität, so viel begabter als die Deutschen. Der Protestantismus hier, das Preußentum sind für das Theater eine echte Diaspora. Wien war meine Lebensspritze, mein Viagra für diese Berliner. Für diese abgefackten Pietisten war der Wiener Rausch schon eine sehr gute Übungseinheit.

Gehen Sie deswegen mit dem Buch als erstes nach Wien?
Darauf freue ich mich sehr, weil ich mit dem Österreicher Hermann Beil eine Matinee mache. Das Buch ist eine Fundgrube für jeden Theaterfreund, Anekdoten aber auch ernsthafte Sachen, die zeigen, dass wir Weltverbesserer alle gegen Windmühlen anrennen. Wien war eine davon, Wien war das Leben eines Theater- Don-Quichottes, der erkennt: Wir haben gekämpft und gekämpft und eigentlich alle Schlachten verloren. Wie wir auch die Schlacht die um das Burgtheater verloren haben. Es war 13 Jahre eine Enklave, ein Biotop inmitten einer sonst etwas langweiligen Theater-Landschaft und jetzt ist alles wieder wie es früher war. Keine Fahne mehr auf dem Dach!

Aber zumindest am Akademietheater wird doch gute Arbeit gemacht, Luc Bondy, Andrea Breth…
(Unterbricht) Ich habe nicht gesagt, dass das Burgtheater schlecht ist, es gibt viele ganz vorzügliche Aufführungen, wunderbare Schauspieler und Inszenierungen. Manche sind mindestens so gut wie in meiner Zeit, das weiß ich ganz genau - es sind ja auch die gleichen Leute zum Teil die hier arbeiten. Nur hat es kein Gesicht mehr. Ein Theater müsste eine Stadt spalten in Freunde und Feinde, und diese Art von Vitalität haben meine 13 Jahre gekennzeichnet, davon ist zur Zeit überhaupt nichts zu spüren. Die Wiener kommen ja in Massen hier her ans BE um sich aufzuregen! Der sogenannte Aufregungs-Tourismus.

Aber Sie spalten doch auch diese Stadt nicht mit dem Berliner Esemble, der alte Gegensatz Ost- Westberlin ist ja nur ein Erbe!
Wenn Sie sehen würden, wie die Zeitungen über uns herfallen…
…Ich weiss, ich lebe hier…
…wie die bürgerliche Presse nur gegen uns schreibt, das ist genau das gleiche wie es Wien war mit Presse und Standard, das hat sich nicht geändert, auch die Off-Off-Szene schreibt gegen uns. Aber ich gebe zu, dass es immer schön ist, ein kräftiges feindliches Gegenüber zu haben, was wir in Wien reichlich hatten, weil das beflügelt die Phantasie und die Arbeit, und insofern freue ich mich auch, dass der alte Kämpe Muliar noch mal die Zähne zeigt.

Ihr Programm hier vermittelt das starke Gefühl, Sie setzen einfach Ihre Version der österreichischen Theaterkultur ungebrochen fort: Soll das BE das zweite, gar das bessere Akademietheater sein?
Nein. Das Berliner Esemble ist schon eine sehr deutsche Angelegenheit, auch mit der DDR sehr verbunden (Es war mit B.Brecht ihr Vorzeigetheater- Anm.d.Red.). Jetzt haben wir hier die anspruchsvollen, verwöhnten Westbürger u n d die Kleinbürger aus dem Osten: Es ist hier viel schwerer Theater zu machen als in Wien. Deshalb würde ich Ihrer Analyse widersprechen.

Aber Ihr Programm ist doch Österreich-satt, von Bernhard über Turrini bis Jelinek. Wo außer in Wien gibt es so viel davon?
Das liegt daran, dass es Österreich eben so viele gute Dramatiker hat, dass man denen überhaupt nicht auskann. Ich habe immer versucht die Region, in der das Theater steht, darzustellen. Wie hier in der im Grunde noch immer geteilten Stadt, aus ihm einen Ort der Begegnung zwischen Ost und West zu machen: Das, was die Politik nicht geschafft hat, die alte Bundesrepublik und die DDR in eine Auseinandersetzung zu bringen. Das ist ganz anders als in Wien. Die anderen Theater in Berlin haben das übrigens auch nicht geschafft…

Kommt Ihnen eigentlich Österreich in dem 475-Seiten-Buch genügend vor: Als Stichwort existiert es nicht und Wien auch nur mit dreieinhalb Zeilen?
Ich bin ja nicht für das Buch verantwortlich, ich habe es erst danach gelesen. Aber Sie dürfen das nicht so geographisch sehen, Österreich durchzieht das Buch wie eine seltsame Ader, ob das nun Wien ist oder Thomas Bernhard oder andere.

Ihre Arbeit lebt auch von der lebenslangen Selbststilisierung als „Egozentriker“, „Selbstironiker“, „Beleidigter“, „Größenwahnsinniger“, „Streithansel“ und „Schrecken der Kommunalpolitik“, um eigene und andere Beschreibungen zu zitieren, genau wie bei Thomas Bernhard, als dessen „Witwe“ Sie sich ja bezeichnet haben. Wären Sie lieber der berühmte Schriftsteller als der erfolgreiche Theaterdirektor?
Nein, manche Leute sind eben Dirigenten, und manche Komponisten, Bernhard ist der Gott, ich bin halt der kleine Bühnenkönig. Aber ich träume einmal im Monat, dass es ihn noch gibt und er sich nur unter anderem Namen herumtreibt, manchmal treffe ich ihn in einem Beisl, wo er mir sagt: Ich bin gar nicht auf dem Friedhof, ich hab’s dort nicht mehr ausgehalten. Also diese typischen Verlustträume habe ich sehr stark. Daher kommt das.
Und ich amüsiere mich über den ganzen Thomas-Bernhard-Kitsch, diese Devotionalien, leider unter der Führung seines Bruders und Erben. Ich warte nur noch auf die „Bernhard-Kugel“ wie die Mozart –Kugel.

Bernhard hat doch an diesem Kult selbst so intensiv gebaut wie Sie das tun!
Ja, aber doch nicht so! Ich habe in Ohlsdorf und Wolfsegg Monate bei ihm gewohnt, aber jetzt kommen die, die ihn in die Klapsmühle stecken wollten, diese Landeshauptleute, und wollen ihm ein Denkmal setzen. Auch wenn ich weiß, dass es auch bei anderen, wie bei Tschechow, diesen Devotionalien-Tourismus gibt.

Würden Sie eigentlich den Ehren-Titel Professor annehmen, wenn Ihnen der aus Österreich angeboten würde?
Das würde keiner tun.

Aber wenn doch? Auch Muliar bekam ihn.
Das müsste ich mir dann überlegen. Aber erst dann.

Das ist kein Nein. Und die österreichische Staatsbürgerschaft?
Ist erledigt. Das war ja sogar mal im Ministerrat und wurde abgelehnt. Nein, das ist vorbei. Ich bin glücklich mit der durch die Klage eines Bürokraten unverhofften Pension eines Burgtheater-Direktors.

Der Salonsozialist

Soweit also das Interview mit Peymann vom 20.11.
Zum aktuellen Thema Klar, das darin bewusst nicht vorkam, weil es um Muliar und Österreich ging:
Da ist der sonst so redefreudige Peymann derzeit aber eher schmallippig. Er hatte schon vor einem Jahr dem Ex-RAF-Terroristen Christian Klar, der nach 26 Jahren Gefängnis für neun nachgewiesene Morde (die Beteiligung an 21 weiteren gilt als möglich bis wahrscheinlich) nun freikommt, angeboten, ihn als Praktikanten der Bühnentechnik am Berliner Esemble zu "resozialisieren". Das hatte schon damals Befremden bei jenem (Groß-) Teil der deutschen Öffentlichkeit hervorgerufen, der nicht dezidiert links ist und damit den Linksterror noch immer als moralisch besser oder als verständlicher rechtfertigt als anderen. Immerhin ist Klar bereits 58, hat noch nie in seinem Leben (ausser im Gefängnis zwangshalber) gearbeitet und gilt wegen seiner expliziten Verweigerung jeder Hilfe zur Aufklärung der Täter (Schützen) bei einigen RAF-Morden und wegen jeden geringsten Anscheins von Reue oder gar Entschuldigung bei den Angehörigen der Opfer als wenig förderungwürdig.
Als nun die Freilassung Klars auf Bewährung zum 3.Jänner vom Oberlandesgericht Stuttgart gemäß Gesetz entschieden werden musste, liess Peymann durch sein Büro die Öffentlichkeit wissen, dass sein Angebot an Klar aufrecht bleibe. Interviews dazu hat er aber meines Wissens nicht gegeben.
Mir hatte Peymann einige Wochen vorher aber mit sonst seltener Kürze gesagt, dass er dieses Angebot regelmäßig "auch anderen Fällen" mache. Es gebe "dauernd solche Parktikanten am BE". Das Berliner Esemble wird zu rund 90 Prozent von öffentlichen Mitteln unterhalten, obwohl Peymann der Dauer-Rekordhalter bei Auslastung und Eigeneinnahmen unter allen Berliner Theatern ist und wohl auch in ganz Deutschland zu den besten zählt. Ob in der Stadt Berlin mit ihren rund 200.000 Arbeitslosen ausrechnet Klar einen solchen Job bekommen müsse, liess er in dem kurzen Gespräch offen.
Peymann hatte allerdings in einem Streitgespräch (siehe weiter unten) in der SZ 13/2007 eingeräumt, dass er bisher noch nie anderen Straftätern einen Praktikanten-Platz eingeräumt habe. Vor einer Woche wies sein Büro darauf hin, dass eine solche Tätigkeit auf maximal drei Monate beschränkt und unbezahlt sei. Auch das steht in gewissem Widerspruch zu Peymanns Äusserungen dort.
Offen ist ohnehin, ob Klar dieses Angebot annimmt, mit dem er schlagartig wieder in der Öffentlichkeit stehen würde. Die anderen Ex-RAF-Terroristen, die schon frei sind (Klar ist der vorletzte, es sitzt nur mehr eine weitere Mehrfachmörderin), meiden diese bisher wie die Pest: Sie wurden daher sogar noch einige Tage vor dem jeweils rechtlich frühesten Termin entlassen, um der Presse an diesem eigentlich nicht mehr vorzuverlegenden Tag zu entgehen.

Sollte Klar trotzdem ans BE gehen, wird Peymann natürlich auch wieder in der Öffentlichkeit angegriffen werden, so wie seinerzeit in den Siebziger Jahren, als er für die erste Generation der RAF-Terroristen (Baader, Ensslin usw), die schon im Gefängnis sassen, demonstrativ Geld für ihre "Zahnbehandlung" sammlen liess. Dafür liess er sich auch unwidersprochen als "Sympathisant der RAF" bezeichnen. Aber da war er noch Intendant in Stuttgart und nicht nur in Deutschland eine ganz andere politische Stimmung.
Heute wird von vielen Historikern der geistig-gesellschaftliche Rückhalt, den die RAF damals im linken bis linksextremen Milieu genoss, mitverantwortlich gemacht für deren Taten, wobei deren zynische, völlig erbarmungslose Hinrichtung nicht nur von Exponenten des "Schweinesystems" (RAF-Diktion) sondern auch Polzisten und Unbeteiligten (Bankangestellten) auch die allermeisten Sympathisanten irgendwann zur Besinnung brachte.

Im Buch "Peymann von A-Z", das nicht von ihm selbst zusammen gestellt wurde aber hauptsächlich auf von ihm gesammelten Unterlagen basiert, steht das Stichwort "Theater um Christian Klar" für Peymanns politisch-weltanschaulich-ideologische Haltung. Hier steht unter anderem das langen Streitgespräch in der Süddeutschen Zeitung aus 2007. Peymann diskutiert darin sehr heftig mit Gabriele von Lützau, einer der Stewardessen, die in der in Zusammenarbeit mit der RAF von palästinensischen Terroristen 1977 entführten Lufthansa-Maschine nach Mogadischu Dienst tat. Damit sollten damals "RAF-Gefangene" in Deutschland freigepresst werden, ein Vorhaben, das glücklicherweise für fast alle Beteiligte, misslang.
In dem SZ-Streigespräch weist von Lützau mehrfach darauf hin, dass Peymanns Interesse und das der anderen RAF-Sympathisanten immer nur den Tätern aber absolut nie den Opfern gehörte, von denen zwei Drittel sogar sogenannte kleine Leute waren. Peymann bezieht auf weite Strecken die ideologische Position Klars: "Das ist vollständig richtig", sagt er zu der von Klar kurz zuvor an eine sogenannte Rosa-Luxemburg-Gesellschaft der PDS (Ex-SED und heute "Die Linke") gesandten Grußbotschaft, in der er, Klar, das "baldige erfolgreiche Ende des Kampfes um die Niederlage des Kapitals" herbeiwünschte.
Peymann distanziert sich in dem Streitgespräch aber nur implizit von der Gewalt der RAF (spricht nur einmal von "Verbechen") und verteidigt sie wortreich, u.a. als legitimen "Einspruch gegen die Verhältnisse der Bundesrepublik in der Siebziger Jahren". Die wurde damals von einer SPD-FDP-Koalition regiert, Bundeskanzler war Helmut Schmidt (SPD).

Auch deshalb habe ich Peymann als Salonsozialisten bzw. Salonkommunisten im Interview (unwidersprochen) bezeichnet. Trotz dieser Geisteshaltung lebt er den sehr guten Geschmack im Persönlichen und den hohen, verfeinerten Lebensstandard unserer erfolgreichen Intellektuellen vor (den ihm natürlich niemand neidet).
Das Buch ist trotzdem, oder gerade deshalb, besonders empfehlenswert: Es ist eine Fundgrube für (linke) Dialektik, grenzenlos amüsant und ein Lehrstück, wie tief sich Österreicher und Deutsche in der (Gesprächs-) Kultur doch unterscheiden. Peymann ist eines der besten lebenden Beispiele dafür und noch dazu eines, das das auch sprachlich kongenial auszudrücken vermag. Österreich kommt dabei sehr gut weg, wie ich finde.


4 Kommentare zu "Claus Peymanns "Absurdes Theater""
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  1. Johann H.

    Ich kann die Qualitäten des Herrn Peymann als Theatermacher nicht beurteilen. In seiner Wiener Zeit als Burgtheater-Direktor habe ich ihn als eitlen Selbstdarsteller wahrgenommen, der die Provokation nicht als Instrument zur Bewusstseinsbildung und „Weltverbesserung“ eingesetzt hat, sondern zur Prägung der Marke Peymann. Dass er das langweilige Wien mit seiner Arbeit ins Heute geführt hat, vermag ich als überzeugter Wiener nicht zu erkennen.
    Zu seiner Rolle am Wiener Burgtheater kann es durchaus unterschiedliche Sichtweisen geben. Zum „Theater um Christian Klar“ wohl kaum. Kaltblütiger 9-facher Mord (mit einfachen Bürgern als Kollaterialschadensopfern) ist nicht mit inakzeptablen Zuständen im „Schweinesystem“ begründbar. Mit Mord und Totschlag in einer Demokratie für mehr Gerechtigkeit einzutreten, ist abwegig und kriminell. Dafür ein gewisses Verständnis aufzubringen ist kein Zeichen von Menschlichkeit. Herr Klar bereut angeblich nichts und ist auch nicht bereit, sich bei den Hinterbliebenen seiner Opfer zu entschuldigen. Aber laut Gericht geht keine Gefahr mehr von ihm aus. Daher kann man von der verhängten Strafe von 6 x Lebenslänglich absehen und sich stattdessen mit der Mindesthaftzeit begnügen. Gerechtigkeit statt Rache – und eine zweite Chance für Klar. Mit einem Job am BE, sofern er ihn annimmt. Leider gibt es für seine Opfer keine zweite Chance. Deren Auferstehung kann der Rechtsstaat nicht bieten. Herr Peymann auch nicht. Mein Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen.
    Johann Hauser, Wien 23

  2. werner M.

    Peymann ist es nicht einmal Wert, ignoriert zu werden. Traurig, dass "sich selbst genannte Qualitäts-Printmedien" sich seiner annehmen.

  3. R, F.

    Herr H: Ihre Einschätzung der Arbeit Peymanns in Wien halte ich für sehr berechtigt - das hier ist ja nur seine Selbsteinschätzung, besser -beweihräucherung. Anders ist es nun in Berlin, wie ich finde: Da sticht er wirklich aus dem Brei des Allerweltprotest- und -Überüssigkeitstheatereinerleis heraus. Klar, wo (fast) alle sich pseudoprogressiv gerieren, obwohl das Anti-Klassenfeind-Regietheater seit langem tot ist, fällt solides Handwerk und sorgfältige Arbeit, die Peymann hier leistet, rasch auf, und das tut er ohne Zweifel. Dass Klar wieder so ein alter Reflex von ihm ist, bedauere ich deshalb persönlich. Dieser Fall ist eine Schande für das Land und weit weg von seinen sonstigen Rechtsstaat-Usancen. Mehr dazu demnächst auch hier.
    Herr M: So eng muss man das nicht sehen. Die Wiedergabe seiner Reaktion auf Muliar hat doch viel Unterhaltungswert, finde ich: gelebtes Theater der beiden "Sonnyboys", was ja eine Anspielung auf ein gutes US-Stück über zwei uralte Streithanseln ist. R.F.

  4. R, F.

    Letzter Nachtrag: Die für 12.12. angesagte Verhandlung gab es dann doch nicht, Herr Muliar hat seine Klage nicht wahr gemacht. Ein "Theater" war es trotzdem...
    R.F.

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Artikel vom 27.11.2008, 11:41 | KURIER | Reinhard Frauscher

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