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Spionage: Hunderte vor der Enttarnung

Der Fall Helmut Zilk ist kein Einzelfall. Der tschechoslowakische Geheimdienst hatte in Österreich viele kleine Spione angeworben.

Spione Nicht wie James Bond sehen die Austro-Spione aus, sondern wie ganz normale Bürger. Die kommunistischen Geheimdienste rekrutierten Abeiter, Bauern, Beamte und sogar Hausfrauen für ihre Spitzelaufräge DruckenSendenLeserbrief
Der Fall Helmut Zilk war nicht der einzige. Verfassungsschützer und Historiker vermuten, dass mehrere Hundert Österreicher im Dienst des kommunistischen ČSSR-Geheimdienstes StB standen. Nachdem nun Tschechien die Geheimdienstakten zugänglich macht, stehen diesen Menschen noch viele schlaflose Nächte ins Haus. Eine kleinere Zahl jüngerer Spione - so die Vermutung der heimischen Staatsschutzbehörden - darf oder muss allerdings für die neuen Geheimdienste Tschechiens weiterarbeiten.

Die kommunistischen Agenten hatten es auf ganz normale Bürger abgesehen. Über diese arbeiteten sie sich dann an die interessanteren Zielpersonen heran. Die Anwerbemethoden waren meist ziemlich profan. Der heute 63-jährige Pensionist Karl (Name von der Redaktion geändert) aus einem Dorf im östlichen Waldviertel hat sie erlebt.

Billiges Bier

Archiv Gnadenlos verfuhr die Justiz mit Spionen vor allem in den 70er-JahrenEs war Anfang der 80er-Jahre einfach "in", nach Znaim zu fahren. Man musste zwar die Visa-Bürokratie an der tschechischen Botschaft in Wien erdulden, dafür waren aber "drüben" das Bier und das Essen konkurrenzlos billig. In einem "Hostinec" (Gasthaus) lernte Karl einen sympathischen Tschechen kennen. Irgendwann nahm er dem neuen Freund ein paar Tageszeitungen mit, dann auch einmal ein Wiener Telefonbuch und ein Branchenverzeichnis. Karl wurde sogar nach Brünn in ein feines Hotel eingeladen. Doch dort tauchte ein sehr bestimmend wirkender Mensch auf, der ihn als "ausgezeichneten Mitarbeiter" bezeichnete, von Fotoaufträgen und Geld sprach. Da bekam der harmlose Holzarbeiter Angst.

Er hatte in der Zeitung gelesen, dass die österreichische Justiz ziemlich gnadenlos mit enttarnten Spionen umgehe. Karl betrat nie wieder tschechischen Boden. Nachdem er Lkw-Fahrer geworden war, konnte er regeln, dass er nur Holzfuhren nach Italien bekam.
Telefonbuchbeschaffungen ware
n meist nur die Anbahnung für höherwertige Aufträge. Ein verschuldeter Zollwachinspektor aus dem Waldviertel, der trotz Führerscheinentzugs ein Auto gekauft hatte, musste alle Interna seiner Dienststelle berichten.

Ein Fabrikarbeiter aus Linz mit dem Decknamen "Monika" musste Wohnhäuser von Exekutivorganen fotografieren und ihre Autokennzeichen notieren. Auf einen Wiener Privatdetektiv und Ex-Soldaten wurde eine komplette Damenringerinnenmannschaft angesetzt. Eine dieser Damen heiratete den Mann sogar. Zu seinen Aufträgen gehörte es, eine Lageskizze der Maria-Theresien-Kaserne anzufertigen. Sie sollte für einen Einbruch in eine Funkanlage dienen.


Toter Briefkasten

Ein Rekrut im Waldviertel musste erst Interna vom Truppenübungsplatz liefern, nach dem Abrüsten musste er alle Bürgermeister und Gendarmen in seiner Umgebung ausspähen. Dafür wurde er sogar nach Brünn gebracht, um das Anlegen von "toten Briefkästen" zu erlernen. Das waren Verstecke, aus denen der Führungsoffizier die Botschaften abholte. Aufgeflogen ist der junge Mann, weil er seine Ehefrau verprügelt hatte. Die verriet bei der Gendarmerie, dass er nicht nur ein Gewalttäter, sondern auch ein Spion sei.

Es wurde teilweise recht gut bezahlt. Ein spionierender Zollwachebeamter aus dem Mühlviertel konnte mit dem Agentenlohn sogar sein Haus bauen.

Diese ganze Wühltätigkeit auf unterer Ebene sollte den Weg für die Anwerbung von wirklich wertvollen Personen ebnen. Das gelang in höchst prominenten Fällen, was vor allem Enthüllungen nach der Invasion von Warschauer-Pakt-Truppen in der ČSSR zeigten.

Unter den enttarnten und verurteilten Spionen war unter anderem ein Spitzenbeamter des Wirtschaftsministeriums, der den Tschechen die genaue Lage der österreichischen Erdölfelder lieferte. Die überlegten nämlich, diese mit sogenannten Schrägbohrungen anzuzapfen. Und Innenminister Franz Soronics, der wiederholt die Existenz von ausländischen Spionageringen bestritten hatte, musste sich von seinem Sekretär trennen. Der Mann wurde der Spionage überführt.

Zusammenbruch

Archiv Innenminister Soronics hatte einen Spion (links) im Büro sitzenDas Jahr 1989 brachte die "sanfte Revolution". Die Reformer zerschlugen den StB und säuberten die Polizei. Es gab plötzlich auch eine Kooperation zwischen den tschechischen und den österreichischen Behörden. So lieferten die Tschechen unerwartet alle Daten von Österreichern, die drüben Waffen gekauft hatten.

Doch zum Leidwesen des österreichischen Verfassungsschutzes rückten die neuen Freunde seit 1989 keinen einzigen Spitzel heraus. Das nährt den Verdacht, dass der neue tschechische Auslandsgeheimdienst Teile der alten Quellen übernommen hat. Dazu gibt es die Regelung, dass an das "Institut zum Studium Totalitärer Regime" - jene Einrichtung, die nun die Zilk-Akte veröffentlicht hatte - nur Unterlagen weitergegeben werden, die nicht die "staatliche Sicherheit" gefährden.

Österreichs Historiker rüsten aber schon zum Großangriff auf die freigegebenen Akten. Es wird ein ähnlich komplexes Unternehmen wie das des Historikers Stefan Karner, der die sowjetischen KGB-Archive erforschte.

Telefonbuch-Spion Karl bereitet das Unbehagen. Er kann wegen Verjährung nicht mehr bestraft werden, und es war ja nur ein Telefonbuch. "Aber in der Nachbarschaft würde es schon blöd ausschauen, wenn noch was rauskommt."

Artikel vom 04.04.2009 17:20 | KURIER | Wilhelm Theuretsbacher

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Thema: Affäre Zilk



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