Tagebuch von Ulla Lenze
18. Juni.  

Nach meiner Lesung in Damaskus, wo ich auch den Eintrag vom 24. Mai vortrage, kommt eine Gruppe deutscher in Damaskus lebender Damen erregt auf mich zu. Sie bitten mich, wenn auch in liebenswürdigem Ton, um eine Erklärung: „Glauben Sie wirklich, die Damaszener sähen in uns Deutschen Barbaren?“
   Nein, stelle ich entsetzt richtig; ich bin es, die sich als Barbarin fühlt.
   Heute steht es in einer deutschen Zeitung. Die Damen sind anscheinend auch noch zum Journalisten gelaufen, und über diesen Umweg erfahre ich noch mehr über mich: „Da hat sie Angst und Vorurteile mitgebracht.“
   Es stimmt, ich kam mit Angst und Vorurteilen. Aber die Damaszener, die mich stets so behandeln, als sähen sie in mir einen kultivierten Menschen, haben sie mir genommen. Und dafür danke ich ihnen.


© Ulla Lenze 2004