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Eine Verfassung für Europa

Tabelle: Referenden zur europäischen Integration

Auf dem Weg zu einem europäischen Verfassungspatriotismus

Die Perspektive der Referenden in vielen Mitgliedsstaaten

Das Verfassungsgesetz der Europäischen Union steht vor seiner letzten Hürde, dem Ratifikationsverfahren. Ohne über den Ausgang zu spekulieren, äussert der Verfasser die Meinung, auch dieser Prozess trage zur Bildung einer europäischen Öffentlichkeit bei. Zum möglichen Scheitern meint er nur, der Kreativität des Ministerrates wären dann keine Grenzen gesetzt, um das Grundgesetz dennoch in Kraft treten zu lassen.

Von Ludger Kühnhardt*

Am 18. Juni 2004 ist europäische Verfassungsgeschichte geschrieben worden. Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union einigten sich auf den Text des europäischen Verfassungsvertrages. Die erste europäische Verfassung ist damit vor die letzte Hürde gelangt, die ihrer Wirksamkeit in der EU noch entgegensteht: den Ratifikationsprozess in allen 25 EU-Mitgliedsstaaten und im Europäischen Parlament. Während Letzteres zweifelsfrei seine Zustimmung zu dem Dokument geben wird, bleibt der Ratifikationsprozess in den 25 EU-Mitgliedsstaaten Unwägbarkeiten ausgesetzt. In mindestens 10 Mitgliedsländern der EU steht eine Volksabstimmung an (Spanien, Irland, Dänemark, Grossbritannien, Luxemburg, Portugal, Niederlande, Tschechische Republik, Belgien und Frankreich). Spätestens seitdem Grossbritanniens Premierminister Tony Blair im April 2004 für sein Land ein Referendum über die europäische Verfassung angekündigt hat, darf in der gesamten EU gewettet werden: To be or not to be?

Teil des Diskurses

Die Debatte über die Ratifikationsprozedur ist in sich selbst ein Teil des Diskurses zur europäischen Verfassung. Sie rückt Prognosen in das Licht der Öffentlichkeit, die mit gewisser stereotypischer Kontinuität über die Haltung einzelner Völker zum europäischen Einigungswerk gemacht werden. Entschieden wird aber erst nach Auszählung aller Stimmen, sei es in den Parlamenten oder sei es bei einer Volksabstimmung. Der Prozess der Ratifizierung der europäischen Verfassung ist ebenso Teil der Formierung einer europäischen Öffentlichkeit, wie die Erarbeitung des nun zur Abstimmung stehenden Textes selbst es gewesen ist. Referenden zu Fragen der europäischen Integration sind kein Novum. Unterschieden werden muss dabei zwischen verschiedenen Typen: bindende und nichtbindende Referenden; Referenden, die von Regierungen, und solche, die von der jeweiligen Opposition eingebracht worden sind; Referenden mit Wirkung auf das Land, das das Referendum durchführt, und Referenden mit Wirkung auf den EU-Prozess insgesamt. Bisher haben 40 Referenden über Aspekte der Weiterentwicklung der europäischen Integration stattgefunden. Eine Reihe dieser Referenden betraf die Frage des Beitritts - oder der Fortsetzung der Mitgliedschaft - eines Landes zum europäischen Einigungsprozess in seiner jeweiligen Form oder zur verstärkten bilateralen Kooperation mit der EU. Ein Referendum entschied über den Beitritt anderer Länder. Eine Reihe von Referenden wurde über Aspekte der konstitutionellen Vertiefung der europäischen Integration abgehalten.

Seit dem Abschluss der Einheitlichen Europäischen Akte 1986 ist dies ein Indikator dafür geworden, dass die europäische Integration auf die Identität ihrer Mitgliedsstaaten zurückwirkt. Die Frage nach der konstitutionellen Legitimität einer vertieften Integration stellt sich überhaupt nur dort, wo der nächste politische Schritt tatsächlich eine Vertiefung des Integrationsprozesses bedeutet. Wo dies der Fall ist, geht es um die Übertragung nationalstaatlicher Souveränität auf die EU. Es ist nicht verwunderlich, dass in einer solchen Situation in einigen Ländern der EU die Referendumsfrage virulent wurde - und bei der europäischen Verfassung wieder virulent geworden ist. Andere Staaten votierten schon in früheren Fällen - und auch jetzt wieder - für die primäre Verantwortung ihrer frei gewählten und dadurch entsprechend zur Abstimmung mandatierten Parlamente.

Dänemark und Irland

Zwei Fälle ragen aus dem Kontext der Erfahrungen mit Referenden zu Fragen der europäischen Integration heraus: die zweifache Abstimmung in Dänemark (1992 und 1993) und in Irland (2001 und 2003) über den konstitutionellen Fortgang des Integrationsprozesses. In beiden Fällen hatte das Votum eines Mitgliedslandes Auswirkungen für alle anderen Mitgliedsländer und ihren Integrationswillen. Dies war letztlich der - sowohl integrationstheoretisch wie auch demokratietheoretisch nachvollziehbare - Grund, warum in beiden Fällen ein zweites Referendum angesetzt wurde. Im Falle Dänemark geschah dies nach Konzessionen an die dänischen Kritiker des Maastricht-Vertrages («opting out»-Klauseln). Im irischen Fall - bei dem doppelten Votum der Iren zum Vertrag von Nizza - wurde das zweite Votum nach einer Periode des Wartens angesetzt, verbunden mit deutlichen Worten von aussen, dass ein Land nicht die ganze EU zur Geisel nehmen dürfe.

Im dänischen Fall wurde die integrationspolitische Logik des erzielten Kompromisses kritisiert, im irischen Fall die demokratietheoretische Logik des zweiten Referendums. In beiden Fällen obsiegte ein gewisser Sinn für Pragmatismus, der in der EU offenbar vor jeder Form von Purismus immer dann obwaltet, wenn das Einigungswerk insgesamt in eine Sackgasse zu geraten droht. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass ähnliche Konstruktionen vorgeschlagen werden, sollte der Verfassungsvertrag in dem einen oder anderen Land zunächst keine ausreichende Mehrheit finden. Die nun vom Europäischen Rat beschlossene Verfassung sieht lediglich vor, dass dieser sich wieder mit der Ratifizierungsfrage befassen müsste, falls zwei Jahre nach der Unterzeichnung erst vier Fünftel der EU-Mitgliedsländer die Verfassung ratifiziert haben und in mindestens einem EU-Mitgliedsland Schwierigkeiten bei der Ratifizierung aufgetreten sein sollten. Der Kreativität des Europäischen Rates wären dann wohl keine Grenzen gesetzt, um die Verfassung doch noch bis zum 50. Geburtstag des europäischen Einigungswerkes am 25. März 1957 in Kraft treten zu lassen.

Heilsame Krisen

Man mag sich der genannten Erfahrungen erinnern, um mit einer gewissen Gelassenheit den nun anstehenden Ratifikationsprozess der europäischen Verfassung zu begleiten. Andere werden gerade dadurch in ihrer demokratietheoretischen Skepsis gegenüber der EU gestärkt werden. Wichtiger noch ist zunächst einmal, dass es keinen Determinismus hinsichtlich des Ausgangs der anstehenden Ratifikationsvoten gibt, der sich aus irgendeiner Tradition der politischen Kultur eines der 25 Mitgliedsländer ableiten liesse. Und selbst wenn sich im ersten Anlauf die Ratifikationshürde als zu hoch für die Realisierung der ersten europäischen Verfassung erweisen sollte: Nach aller Erfahrung in und mit der EU könnte es am Ende immer noch den Weg des Umwegs geben, um zum Ziel zu gelangen - wie so oft in der Vergangenheit, auch wenn alle Demokratiedogmatiker und Integrationstheoretiker verzweifeln mögen. Europa ist eben insbesondere durch Krisen gewachsen und wieder und wieder durch Krisen gestärkt worden.

Diese Erfahrung war bereits hilfreich, um den gescheiterten EU-Gipfel vom Dezember 2003 in eine weitere Perspektive zu rücken. So bemerkenswert die konsensuale Übereinstimmung im Verfassungskonvent gewesen war - am Ende stand keine formelle Abstimmung -, so tief ging der Schock, als sich die Staats- und Regierungschefs der EU nicht auf den Text einigen konnten. Am Vorabend der grössten Erweiterung in der Geschichte der EU schien der grösste mögliche Absturz der Hoffnung auf eine Verstärkung des politischen Charakters der EU zu stehen. Die Gründe für das Scheitern des Gipfels vom Dezember 2003 waren mannigfach. Vor allem mangelte es an einem «esprit européenne» bei vielen der beteiligten Akteure. Die Ursachen dafür liessen sich nicht auf die besonders kontroverse Frage der Abstimmungsmodalitäten im Europäischen Rat reduzieren.

Machtfragen und psychologische Verstimmungen hatten sich vermischt - Folge einer Kette von Ereignissen und Tendenzen, die seit dem Gipfeltreffen des Jahres 2000 in Nizza ruchbar geworden waren und spätestens im internen kalten Krieg des Westens über die richtige Politik gegenüber der irakischen Diktatur und über die Weisheit des amerikanischen Krieges gegen das Regime von Saddam Hussein eskalierten. Auch in dieser Hinsicht wurde eine alte Erfahrung bestätigt: Wann immer die transatlantischen Beziehungen in einem schlechten Zustand sind, befindet sich auch der Prozess der europäischen Einigung in einem schlechten Zustand.

Der Test steht noch bevor

Und doch: Am Ende stand ein Verfassungskompromiss. Dieser entspricht den Erwartungen und Hoffnungen der Mehrheit der Unionsbürger. Die Mehrheit der Bevölkerung in allen 25 alten und neuen EU-Mitgliedsländern (67 Prozent) stimmte in einer Euro-Barometer-Umfrage vom November 2003 dem Ziel einer gemeinsamen Verfassung zu. Im Februar 2004, im Lichte des gescheiterten Gipfeltreffens von Brüssel, verlangte eine Mehrheit der Unionsbürger (62 Prozent) von ihrer jeweiligen Regierung Kompromissbereitschaft, um das Ziel einer gemeinsamen Verfassung doch noch zu erreichen. Der Anteil derjenigen in den 25 alten und neuen EU-Mitgliedsstaaten, die dem Ziel einer europäischen Verfassung insgesamt zustimmten, war auf 77 Prozent gestiegen. Diese demoskopischen Befunde dürfen als ein untrügliches Zeichen dafür gewertet werden, dass die Zielsetzung einer gemeinsamen europäischen Verfassung nicht über die Köpfe und Herzen der beteiligten Bürger der EU hinweg verfolgt wurde.

Fortsetzung folgt

* Prof. Dr. Ludger Kühnhardt ist Direktor am Zentrum für europäische Integrationsforschung (ZEI) der Universität Bonn.

Neue Zürcher Zeitung,  16. Juli 2004

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